Kultur: Besuch der alten Dame
Mit Swetlana Geier kommt die große Dostojewskij-Übersetzerin nach Potsdam
Stand:
Vielleicht wird das Gespräch zwei Stunden dauern. Üblich sind eher 90 Minuten. Doch egal wie lang, es wird immer zu kurz sein. Wer mit Swetlana Geier über das Übersetzen spricht, merkt gar nicht, wie schnell dabei die Zeit verrinnt.
Morgen wird Swetlana Geier auf Einladung des Brandenburgischen Literaturbüros in der Villa Quandt über Dostojewskijs Roman „Der grüne Junge“ reden. Es ist der fünfte Roman des russischen Schriftstellers, den Swetlana Geier neu ins Deutsche übersetzt hat. Im März hatte sie dafür den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten. Man kann sagen stellvertretend für das, was die mittlerweile 84-Jährige in den zurückliegenden Jahren für die Übersetzung von Literatur geleistet hat. Denn neben Dostojewskij hat sie unter anderem Tolstoi, Solschenizyn, Bulgakow, Sinjawskij, Platonov und Bunin ins Deutsche übertragen.
Vor 16 Jahren hat sie damit begonnen, Fjodor Dostojewskij zu übersetzen. Zuerst „Verbrechen und Strafe“, das zuvor „Schuld und Sühne“ genannt wurde. Dann „Der Idiot“, dann „Böse Geister“ und „Die Brüder Karamasow“. Im November vergangenen Jahres ist „Der grüne Junge“ im Ammann-Verlag erschienen. Damit liegen 4762 Buchseiten Dostojewskij in der Neuübersetzung vor. Und damit hat Swetlana Geier sich einen Lebenstraum erfüllt.
Swetlana Geier wurde in Kiew geboren. Die Mutter entstammte einer Offiziersfamilie. Ihr Vater, ein Intellektueller, kam 1938 als „Volksfeind“ in Haft und starb ein Jahr später an den Folgen. Während des Krieges übersetzte Swetlana Geier für eine deutsche Firma. Als die sowjetische Armee 1943 Kiew zurückerobern wollte, flüchteten Mutter und Tochter nach Deutschland. Zuerst kamen sie nach Dortmund, später nach Freiburg und blieben dort, im Vorort Günterstal, für immer. In Freiburg las Swetlana Geier dann Dostojewskij zum ersten Mal in einer deutschen Übersetzung. Sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
Sprachen sind wie unterschiedliche Welten. Jede hat ihre Eigenheiten, ihren eigenen Klang, nichts gleicht sich. Und es gibt eine Vielzahl von unüberbrückbaren Differenzen. Für einen Übersetzer bedeutet dies, dass es immer Unterschiede zwischen dem Original und der Übersetzung geben wird. Swetlana Geier sagt, dass Übersetzen ein Prozess sei, an dessen Ende immer etwas Neues steht. Sie hat das nie als Leid empfunden. Für sie lag der Reiz bei jeder Übersetzung immer darin, den Unterschied zum Original so klein wie möglich werden zu lassen. Die unterschiedlichen Klangfarben der beiden Sprachen einander anzunähern. Denn das hatte sie vermisst, als sie zum ersten Mal eine deutsche Übersetzung von Dostojewskij gelesen hatte. Ähnlichkeit herzustellen, sagt Swetlana Geier, sei für sie die größte Herausforderung beim Übersetzen.
Bevor sie mit dem Übersetzen von Dostojewskij beginnen konnte, musste Swetlana Geier auf ihre Pensionierung warten. Sie brauchte viel Zeit für diesen Autor. In Egon Ammann hat sie einen Verleger gefunden, der schnell erkannte, was ihre Übersetzungen auszeichnet: Swetlana Geier gibt jeder der vielen Stimmen in Dostojewskijs literarischen Kosmos einen eigenen Ton. Der Fischer-Verlag, in dem die Taschenbücher erscheinen, wirbt auf dem Titel mit ihrem Namen. Doch das sind Dinge, die sie wenig interessieren. Spricht Swetlana Geier über das Übersetzen, dann spricht sie auch über die Literatur. Sie lässt dabei Sätze, einzelne Worte in beiden Sprachen klingen, streift Geschichte und Mythologie. Wenn sie morgen in die Villa Quandt kommt, wird sie vielleicht auch vom Heiligen Hieronymus erzählen und was der mit dem Übersetzen gemeinsam hat. Wenn das die Zeit zulässt. Dirk Becker
Swetlana Geier spricht morgen ab 20 Uhr über ihre Übersetzerarbeit und Dostojewskijs „Der grüne Junge“ in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47. Der Eintritt kostet 5 und 7 Euro.
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: