Kultur: Betörende Momente beschwörender Musik
Bachtage Potsdam in der Friedenskirche Sanssouci eröffnet
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Bachtage Potsdam in der Friedenskirche Sanssouci eröffnet Beethoven sagte einst angesichts des Riesenwerks von Johann Sebastian Bach, dieser sollte nicht „Bach“ sondern „Meer“ heißen. Das war vor zweihundert Jahren. Doch bis heute ist die Faszination von Bachs Musik ungebrochen. Eines der jüngsten Zeugnisse dafür sind die Bachtage Potsdam, die jetzt mit einem umfangreichen Programm ins dritte Jahr gehen. Zur Eröffnung gab es in der Friedenskirche Potsdam Sanssouci beliebte und seltene Kostbarkeiten zu hören. Die bekannte Potsdamer Sängerin Christine Wolff begeisterte die zahlreichen Zuhörer mit dem Vortrag der Kantate „Ich bin in mir vergnügt“, Michael Frank Meier, Flöte, sowie Thomas Müller und Björn O. Wiede sorgten an den Cembali für den rechten Bach-Ton. Jedes der Werke traf auf seine Weise das Motto der Bachtage, „Werke für Menschen von heute“ zu präsentieren. Weit verbreitet und in alle möglichen musikalischen Idiome übersetzt wurde die Ouvertüre h-moll BWV 1067, eine von vier Orchestersuiten aus Bachs Köthener Zeit. Die berühmte Melodie des letzten Satzes – Badinerie – findet sich inzwischen sogar als Klingelton auf Handys wieder. In der Friedenskirche spielte das Bach-Collegium unter der Leitung von Björn O. Wiede eine kammermusikalisch reduzierte Version dieses Klassikers, denn jedes Instrument war nur einzeln besetzt. So ergab sich ein durchsichtiges Klangbild, das einzelne Motive prägnant hervorbrachte. Die Tempi wurden eher gemäßigt genommen, ohne in die heftigen Rasereien zu verfallen, die gelegentlich einzelnen Sätzen zugemutet worden sind. Besonders populär und passend zum friderizianischen Potsdam sind die drei solistischen Flötensätze dieser Suite. Michael Frank Meier zeigte sich als souveräner Solist, der seinen Part virtuos, mit vorbildlich perlenden Läufen und Verzierungen ausstattete. Vollends im Hier und Jetzt kam die Bach“sche Musik jedoch erst in der Kantate „Ich bin in mir vergnügt“ an. Mit ihrer mitreißenden Gesangskunst, der ihr eigenen Mischung aus Verstand und Gefühl versetzte Christine Wolff die Zuhörer in ein Zwischenreich, das Bachs Musik im antikisierenden Ambiente der Friedenskirche im Jahre 2003 zeitlos aktualisierte. Es habe sie persönlich betroffen, wie sehr der ziemlich altertümliche Text die Probleme der heutigen Zeit benennt, bekannte die charmante Künstlerin in ihrer kleinen Einführung. Dabei ginge es nur um einen wichtigen Gedanken: Schätze und Reichtümer anhäufen bringt keinen Frieden, den kann jeder nur in sich selber finden. Die reichen Facetten ihres Gesangs stellte Christine Wolff ganz in den Dienst dieser Aussage. Sie ist keine coole Stimmartistin, sondern eine Sängerin, die Ausdruck und Aussage emphatisch miteinander verschmilzt und dabei der Gefahr, ihrer eigenen Empfindsamkeit zu erliegen, durchaus widersteht. Die Rezitative gestaltete sie mit dramatischem Impetus, temperamentvoll und klar zugleich. Jeder der vier Arien verlieh sie eigene Farben, Glanz und Wärme ihrer Stimme wusste sie mitreißend einzusetzen. Herausragend klangen die 4. Arie mit Solo-Violine, voll sinnlicher Schubkraft und kluger Phrasierung, sowie die 6. Arie. Hier verstärkte die Flöte die überaus delikate, koloraturenreiche Klangrede der Sopranstimme echoartig mit vielen Verzierungen und wurde quasi zum Propheten, oder in heutigen Worten zum Multiplikatoren der Botschaft Bachs: „Meine Seele sei vergnügt.“ Das ergab betörende Momente beschwörender Musik. Auch in der Bearbeitung für zwei Cembali konnte das Doppelkonzert c-moll BWV 1062 nahezu berauschende Sogkraft entfalten. Das ursprünglich für zwei Violinen geschriebene Werk erklang in der eigenen Bearbeitung Bachs, allerdings wiederum mit der kleinen Besetzung durch das – im übrigen sehr gut spielende – Bach-Collgium. Die maschinenhaft-monotonen Klangfolgen der Cembali gaben dem ersten Satz ein modernen Touch voller Hast und Eile. Dagegen zog der zweite Satz, Andante, mit langgezogenen, harmonisch-melodischen Steigerungen der Solo-Instrumente in den Bann einer überaus subtilen, spannungsreichen Struktur. Der Schlussatz erklang federnd-gedämpft, eilend, aber nicht eilig und erinnerte mit seinen klaren Triolen-Ketten an eine Vielzahl sprudelnder Bäche, ein glitzerndes Netzwerk der Geistesblitze. Diese und die anderen Bäche aus dem musikalischen Meer, das uns Johann Sebastian Bach hinterlassen hat, haben Lust auf „mehr“ gemacht - bei den Bachtagen kann man sie erleben.Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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