Kultur: Betulicher Tanz auf dem Vulkan
„Cabaret“-Premiere am Brandenburger Theater / Ende Februar Gastspiel am Hans Otto Theater
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„Politik, was hat das mit uns zu tun“, blockt Tingeltangelsängerin Sally Bowles alle Vorhaltungen ihres Liebhabers, des amerikanischen Schriftstellers Clifford Bradshow, ab. „Der Kit-Kat-Klub ist das Unpolitischste in Berlin.“ In dieser Amüsierkneipe tritt sie allabendlich auf. Es ist ein schäbiges Etablissement, in dem sich die explosive Atmosphäre der Reichshauptstadt am Ende der Weimarer Republik wie im Brennglas spiegelt. So führt es jedenfalls das politisch brisante Musical „Cabaret“ von Joe Masteroff (Buch) und John Kander/Fred Ebb (Musik) gleich einem Tanz auf dem Vulkan vor, ohne dabei ins Leichte und Seichte abzugleiten.
Wer wie Manuel Schöbel die „Cabaret“-Legende am Brandenburger Theater inszeniert, muss um die Klippen der musikalischen Aufbereitung wissen. Und so sollte das, was als Metapher für Realität und Illusion gedacht ist, auch genregerecht auf der Bühne vorgeführt werden. Doch wie kann man es fast ohne zündende Regieeinfälle tempoarm in einer Einheitsszenerie (Frank Prielipp) verwirklichen, deren blaugrün gekachelten Wände an das Untergeschoss eines Schwimmbades erinnern? Mal will die Optik den wenig glamourösen Kit-Kat-Klub suggerieren, als dessen Besucher sich die im Parkett an Bistrotischen sitzenden Zuschauer fühlen sollen, dann wieder die schäbige Pension des Fräulein Schneiders, die sich als Billigabsteige entpuppt, in der Cliff ein (blickdurchlässiges) Zimmer in der ersten Bühnenetage bezieht. Die farbenkräftigen Kostüme (Susanne Goder) entsprechen damaligem Zeitgeist.
Als Spielmacher und Ver-Führer von nahezu mefistofelischen Ausmaßen soll der Conferencier die Fäden in der Hand halten. Doch wenn sich dieser mit dem stockend gesprochenen „Wellcome“-Entree als Schlepper produzieren muss und jeglicher Dämonie entbehrt, dann ist die Figur von ihrer Stückaufgabe her arg beschädigt. Dennoch sucht Falk Berghofer, konsequent filmisches Vorbild meidend, das Beste aus der Rolle zu machen. Er kann singen, tanzen, körpergewandt agieren, verständlich sprechen. Den Strippenzieher bleibt er den Zuschauern jedoch schuldig.
Wie sich mit untadelig beherrschten, sparsam eingesetzten schauspielerischen Mitteln eine Figur aus Fleisch und Blut gestalten lässt, führt Marion Wiegmann (Fräulein Schneider) sehr berührend vor. Sie kann nicht singen und bringt dennoch in den Songs die ganze Spannbreite der Gefühle zwischen Überlebensburschikosität und später Liebeshoffnung zum Klingen. Ihr erstrebtes Lebensglück mit dem jüdischen Obsthändler Herr Schultz (anrührend gespielt, weniger gut gesungen: Harald Arnold) zerbricht ob dessen Naivität gegenüber den gesellschaftlichen Realitäten. Mit diesen sucht sich der Kit-Kat-Star Sally alias Roswitha Stadlmann zu arrangieren, indem sie die Wirklichkeit total verdrängt. Doch bringt die Darstellerin zu wenig Ausstrahlung ein, als dass ihr ein Charakterporträt der Lavierenden gelingen könnte. Sie versucht mit hektischem Wortschwall und plärrigem, tontechnisch verstärktem Gesang knisternde Spannung zu erzeugen. Stimmliche Erotik holt sie aus dem Unterleib. Schauspielerische Funken sprühen dabei nicht.
Kraftvoll gibt Gerald Michel den realitätserkennenden Cliff. Die zunächst verkappten, dann sich offen bekennenden Nazis werden von Tomasz Dziecielski (Ernst Ludwig) und Michael Chadim (Max) nur als Typen vorgeführt. Den Kit-Kat-Girls mangelt es an darstellerischer Frivolität, tänzerischer Perfektion (Choreografie: David Sutherland). Bei einem thematisch passenden Foyerprogramm singen sie vor, zwischen und nach der „Cabaret“-Vorstellung mehr schlecht als recht Chansons von Hollaender bis Brecht/Eisler. In einem verglasten Kabuff in oberer Bühnenlage ist „Die Damenkapelle“ platziert, die unter Leitung von Susanne Ockert ohne Biss und Präzision einen Weichaufguss der Kanderschen Musik spielt.
„Cabaret“-Gastspiel am 24., 25. und 26. Februar in Potsdam.
Peter Buske
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