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Mit Unschuldsblick. Matt Sweetwood ist den Biertrinkern auf der Spur.

© M. Thomas

Kultur: Bier kaufen ist Glückssache

Matt Sweetwoods Doku „Beerland“ im Thalia

Stand:

Matt Sweetwood muss sich wirklich ganz schön gewundert haben, als er nach Deutschland kam und sich einem Volk von wahrhaft Bierverrückten gegenübersah. Mittlerweile lebt der Wahlpotsdamer seit zehn Jahren hier und ist mit einer Deutschen verheiratet, findet es aber immer noch komisch, auf der Straße Bier zu trinken: „Würden wir Amerikaner jemals auf das Recht verzichten, eine Waffe zu tragen, wenn wir dafür mit einem Bier in der Hand die Hauptstraße langlaufen könnten?“, fragt er im Film – und trifft in dieser Beschreibung den Kern des „cultural clash“ recht gut. Die ganze ritualisierte Historie der Deutschen und ihres Biers ist allerdings kompliziert: „Man muss sich wohl erst mal mit den Deutschen betrinken, um sie zu verstehen“, bekennt Sweetwood, und ein wenig Resignation klingt da schon durch.

Es sei der Traum seines Dads gewesen, das Mekka des Bieres zu sehen – und es wurde zu einem Albtraum: Gleich zu Beginn des Filmes schleppt Sweetwood seine Eltern aus Kansas City, Missouri, auf das Oktoberfest in München. Den weltweiten Inbegriff des deutschen Bierkonsums, bei dem das deutsche Bild auf das Bajuwarische reduziert wird, gleich an den Anfang des Films zu setzen, verdient Dankbarkeit – denn was darauf folgt, ist wesentlich interessanter. Sweetwood betrachtet die Bierkultur mit der Unschuldsbrille, er kritisiert nicht, er wundert sich nur. „Bier kaufen ist Glückssache“, erklärt ihm ein Getränkehändler, und er lernt schnell, dass das Ritual des Anstoßens nicht unterschätzt werden darf – immerhin werde ihm das ständig gezeigt. Wie Sweetwood sich wundernd durch den Film spaziert, ist einfach nur zum Schreien; seine Fassungslosigkeit beim Versuch, den bayrischen Dialekt zu verstehen – „Gscheit tringa!“ – sorgt für herzhaftes Gelächter, ebenso seine trockenen Kommentare in amerikanischem Akzent. Und er will alles sehen: den Kölner Karneval – „wie Halloween mit Bier“ – ebenso wie die Inszenierung des bayrischen Bierkriegs in Dorfen: „Bierkrieg? Klingt nach einer ernsten Sache. Ich glaube, für einen Milchshake würde das niemand machen.“ Die Kamera filmt dabei aus der Situation heraus und fängt beeindruckende Bilder ein, zwischendurch verwendet Sweetwood liebevolle Animationen. Ja, er wollte bewusst einen positiven Film machen, erzählt er später, auch wenn er von Dokfilm-Festivals Absagen kassiert habe, weil „Beerland“ nicht intellektuell genug sei. Wenn man in den USA einen Dokumentarfilm über Deutsche sieht, dann gehe es zu 90 Prozent um den Zweiten Weltkrieg, das habe ihn gehörig genervt. Dabei seien die Deutschen doch ganz anders, „die saufen nur“, sagt Sweetwood zwinkernd. Gute Geschichten fangen eben meistens mit dem Satz „Wir haben ein bisschen was getrunken und dann ...“ an. Ob er sich am Berliner Stammtisch darüber wundert, gleich in die rassistische Dialektik eingespannt zu werden, oder darüber, dass im Hallertau eine monarchisch-ritualisierte Hopfenkönigin gewählt wird – Sweetwood begeistert einfach mit seiner Naivität ob des alltäglichen Irrsinns der Deutschen und ihres Biers, ohne dabei selbst bierernst zu werden. Aber vielleicht kann man nicht alles verstehen, schließlich wusste bereits Tacitus im Jahre 95, dass die Germanen nur mit Bier zu besiegen seien. Aber auch wenn rund um die Bierstadt Bamberg die höchste Brauereidichte herrscht – eine Brauerei pro 150 Einwohner – findet Sweetwood die verrücktesten Biertrinker ausgerechnet in Niedersachsen: In der Biertrinker-Gilde wird die 40er-Marke am Abend locker geknackt. „Öffentlich betrunken zu sein hat hier 600 Jahre Tradition – und ich war dabei!“, stellt er lakonisch fest. Aber Bier ist eben nicht gleich Bier: „Die Deutschen glauben, dass Bier sie verbindet – aber eigentlich unterscheidet es sie“, resümiert Sweetwood. Na dann Prost. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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