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Kultur: Bilder der Beschleunigung

Nach der Flut: Arbeiten der Grimmaer Malerin Barbara Dietel in Potsdam zu sehen

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Nach der Flut: Arbeiten der Grimmaer Malerin Barbara Dietel in Potsdam zu sehen Von Antje Horn-Conrad Vor dem Haus standen zwanzig Zentimeter Wasser, dahinter zweihundert. Es war eine Frage der Physik, wann sich die wild gewordenen Wasser der Mulde ihren Weg bahnen würden. Tür und Tor hielten dem Druck nicht stand. Die kleine Galerie in der Grimmaer Altstadt war schön, aber eben alt Gerade erst hatte sich Barbara Dietel – zurückgekehrt von einem längeren Lehrauftrag in Karlsruhe – hier wieder eingerichtet, die mitgebrachten Arbeiten sortiert, gelagert, aufgehängt. Nun stand nichts mehr an seinem Platz: der Ton in Scherben, die Bilder zerborsten, Papiere aufgeschwemmt zu faserigem Brei und die Farben – gelöst in jener graubraunen Brühe, die dem sächsischen Grimma tagelang bis zum Hals stand. Niemand sah, was mit dem Blattgold geschah, das Barbara Dietel selten, aber gern verwandte. Ein schimmernder Film auf dem Schlamm, der alles überdeckte, als die Flut flussabwärts zog? In jener irren Stille zwischen Entsetzen und Fassungslosigkeit griff Barbara Dietel zum einzigen Werkzeug, das trocken geblieben war, ihrer Kamera, und fotografierte die entrückte Wirklichkeit: Bäume auf Brücken, Mahlsteine vor der Mühle, Hausrat auf den Straßen. Neun Miniaturen von sich querenden Linien, Fugen, Rohren und Leitungen schließen diese Arbeit ab. Die Fotografien markieren den Kreuzpunkt in der Ausstellung „Aufbruch und Wandlung“, die das Fertighausunternehmen Haacke der Malerin, Keramikerin und Fotografin Barbara Dietel derzeit in einer noch leerstehenden Stadtvilla im Potsdamer Brentanoweg ermöglicht. Haacke, dem ökologischem Bauen verpflichtet, unterstützt seit längerem schon Künstler, die sich in besonderer Weise mit dem Verhältnis des Menschen in und zur Natur auseinandersetzen. Barbara Dietels „besondere Weise“ greift hinab in tiefere Erdschichten, die in ihrer Umgebung zu Tage gefördert werden. Auf den wenigen Lithografien, die die Flut nicht fortnahm, graben Bagger mit krabbenartigen Krallen nach jenen fossilen Resten, die dem Menschen vor Jahrmillionen gespeicherten Kohlenstoff freigeben sollen. Tatsächlich lauert eine Krabbe im Vordergrund, und in der Silhouette des umgewälzten Bodens finden sich die Konturen eines liegenden Akts. Das Bild daneben zeigt ein Eiszeitszenario, heranrollendes Gestein, das die Erde verschieben und neu formen wird. So gesehen erscheint der Braunkohleabbau wie ein flüchtiges Kratzen an der Kruste. Auch in den fotografischen Collagen aus der Reihe „Erd-Augen-Blicke“ bleibt der Mensch am Rande. Seine Spuren lassen sich erst bei genauerem Hinsehen entdecken als archaische Tierzeichen an Höhlenwänden, durchschimmernde Zeitungslettern, ferne Industrieschlote und frei schwebende, ins Nichts führende Eisenbahngleise. Barbara Dietel respektiert die Kräfte in der Natur, auch wenn sie, wie vor zwei Jahren während der großen Flut, die eigenen Bahnen verschieben. Nahezu alles ging damals verloren. Arbeiten aus zwei Jahrzehnten gelöscht wie ein Manuskript auf zerstörter Festplatte. Die Werte konnte niemand schätzen. Kunst hat – entschädigungstechnisch – keinen Wert. So blieb nur der Neustart. Besinnungslos machte sich die Malerin ans Aufräumen, reorganisierte ihr Leben und das ihrer Eltern, baute ein neues Haus, auf zehn Meter höherem Niveau. Auch jetzt noch würde Ruhe sie stutzig machen. Die Energie aber, die die Zerstörung freisetzte, kann sie nun endlich wieder in die Malerei fließen lassen. Erste Bilder ziehen hinein in „Wirbel“ und „Strudel“, die in der Tiefe nicht dunkel sondern heller werden. „Sakrales Blau“ scheint durchsichtig wie in Fenstern von Kathedralen. Und „Bewegung“ deutet an, was aus engem Schlot herausbrechen kann. Es sind Bilder der Beschleunigung. Eine Frage der Physik. Zur Besinnung war noch keine Zeit. Geöffnet Sonnabend und Sonntag 11 bis 18 Uhr im Haacke Musterhaus, Brentanoweg 7. Durch Erwerb der Objekte wird der Aufbau einer neuen Werkstatt unterstützt.

Antje Horn-Conrad

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