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Kultur: Bilder einer kletternden Dichterin

Christa Müller las zur Vernissage ihrer Fotoschau „Liebe-Schlaf-Tod“ im Autonomen Frauenzentrum

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Christa Müller, die im März 70 Jahre alt wird, schenkt sich zu diesem Geburtstag eine Reise ans Nordkap. Das passt zu ihr, denn an ihrem Sechzigsten wanderte sie allein zum Ätna und Stromboli, und, was die Gäste zu ihrer Lesung und gleichzeitigen Ausstellungseröffnung „Liebe – Schlaf – Tod“ am Dienstagabend am meisten beeindruckt hat, war, dass sie dort vollkommen alleine im Freien übernachtete. „Das würde ich nicht wagen“, so oder ähnlich waren die spontanen Reaktionen des feinen Kreises Interessierter, die im heimeligen Raum des Autonomen Frauenzentrums zusammen saßen.

Dort hängen nun auch ihre Schwarz-Weiß-Fotografien, die die Themen Schlaf und Liebe illustrieren, und hauptsächlich von ihrer starken Naturbezogenheit künden. In der Serie „Schlafende“ sieht man von Schlafsäcken geborgene Gestalten in der Natur. Die ist meist felsig, denn Christa Müller liebt das Klettern, das zu DDR-Zeiten wohl den gleichen Freiheitsgehalt bag wie Reisen ins europäische Ausland für Westdeutsche.

Ihre Eindrücke hat die Autorin in Gedichten und Tagebuchnotizen festgehalten, und Verse wie: „Felswasser trinkend schmecke ich Asche im Mund“ stehen symptomatisch für ihre Abenteuerlust und die Suche des Einsseins mit der Natur. Diese Klettertouren und Reisen sind kleine Fluchten mit großer Wirkung. Christa Müller findet in einer Natur, die Menschen umarmt und Freiheit ermöglicht, offenbar Trost und Erkenntnis. Das gilt für die ehemalige DEFA-Dramaturgin auch heute noch. Und selbst mit 70 begibt sie sich, körperlich und geistig höchst vital, weiter auf die Entdeckung des großzügig wirkenden natürlichen Elements. Ihre sich auch in der Lyrik offenbarende Natursicht ist der Romantik verwandt, vermeidet allerdings das Schwärmerische.

Am Dienstagabend las sie Gedichte, die beim Wandern und nicht am Schreibtisch entstanden sind und Tagebuchnotizen über den Tod von Freunden – weil sie das Thema „Tod“ nur dort unterzubringen vermochte.

Sehr persönlich waren die Betrachtungen, die sie zu dem Unfall von „Kater“, einem Mitglied ihrer Klettertruppe, anstellte: Den viel Jüngeren sah sie zum ersten Mal um Mitternacht auf dem Bahnhof. Da war „Kater“ noch ein Kind und erfreute die Geschwister durch seine Lebhaftigkeit, die der erwachsenen Beobachterin um diese späte Stunde auffiel. Vor allem, weil sie selbst müde war. Später erst lernte sie ihn kennen und schätzen. Seinen Unfall, er war bei der Arbeit von einem Gasometer gestürzt, erklärte sie damit, dass er für seinen Freiheitsdrang kein Ventil finden konnte, außer bei Extremklettertouren.

Auch über den Freitod von Jette, die auf einer der ausgehängten Fotografien als glücklicher Teil eines Paares erscheint, hat Christa Müller Tagebuch geführt. Diese intimen Beobachtungen und der Versuch der Analyse des Suizids ließen die Zuhörer betroffen reagieren und man verstand, warum sie für das Thema keinen fotografischen Ausdruck gefunden hat. Tod ist für Christa Müller eher durch die Sprache zu fassen, die es erlaubt, dem vergangenen Leben nachzuspüren und das Rätsel des Ablebens im Ungefähren zu belassen.

Auf den Fotografien erscheint das Leben, nicht nur als Schlaf, sondern auch als Paar: Sie zeigen Mann-Frau-Beziehungen, Christa Müller selbst als junge Mutter im Einssein mit ihrem Baby 1984 auf einem sonnendurchfluteten Balkon oder eine Frau, die ihren Säugling in einer Bauchschlinge trägt und durch einen Wald umgestürzter Bäume watet, als seien sie und das Kind durch diese Umgebung vor der ganzen Welt geschützt.

Eigentlich vereint die Natur bei Christa Müller die drei im Ausstellungstitel separierten Themen: „Liebe – Schlaf –Tod“ und ihre fotografische und literarische Arbeit ist eine Hommage an die Natur, zu der sie manchmal auch die Menschen zählt.

Lore Bardens

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