
© Manfred Thomas
Von Daniel Flügel: Bildgenaue Wortmacht
Christa Wolf las mit witziger Frische im ausverkauften Nikolaisaal
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Vergeblich versucht sie mit Handgesten den anhaltenden Beifall und das Blitzlichtgewitter zu unterbinden. Dass sie sich freut, verrät nur ihr feines Lächeln. Fast majestätisch, ganz in Schwarz mit gelbgrünem Seidenschal und auf eine Gehhilfe gestützt, hat Christa Wolf am Sonntagabend die Bühne des ausverkauften Nikolaisaals betreten. Eine seltsam feierliche Atmosphäre wird da spürbar, die allein dem Auftritt einer längst zur Instanz gewordenen Autorin zu verdanken ist.
Recht viele Seiten ihres neuen, preisgekrönten Buchs „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ (Suhrkamp Verlag, 24,80 Euro) liest sie den Gästen an diesem Abend mit ruhiger, klarer Stimme vor. Ein Patchwork aus Einzelszenen, welches sie für die Lesung eigens zusammengestellt habe, ein unchronologisch angelegtes Manuskript, das einen guten Querschnitt ihres Romans bietet, den man allerdings nur so nennen könne, weil das Buch recht dick ausgefallen sei, sagte Christa Wolf. Ansonsten sei ihr Text, der vom Leser eine gewisse Bereitschaft fordere, eine formal reichhaltige Mischform, ein autobiografisches aber ebenso sehr auch stark fiktives Werk, über das sich ja Germanisten späterhin gern die Köpfe zerbrechen mögen. Und nicht zuletzt sei das Buch auch Ergebnis ihrer inneren Auseinandersetzung mit den damals in der Öffentlichkeit lautstark geführten Diskussionen um ihre tatsächlich kaum aussagekräftige Stasiverpflichtung.
Das Vorgelesene besticht durch seine Zugänglichkeit, seine bildgenaue Wortmacht, seinen oft überraschend witzigen Unterton. Christa Wolf liest von einer Zeit, die sie 1992/93 auf Einladung des Getty Centers in Los Angeles verbracht hat, geprägt von etlichen Begegnungen, Unternehmungen und Gesprächen mit Leuten aus aller Welt. Wie in einem Rückzugsgebiet fällt es ihr dort leichter, von sich und ihrer Unfähigkeit zu erzählen, angemessen auf historische Ereignisse zu reagieren, etwa auf ihre Rede vor Tausenden, am 4. November1989, auf dem Berliner Alexanderplatz oder gar auf den Mauerfall selbst.
Sie stellt sich der immer gleichen Frage „What about Germany?“, beobachtet, schult ihren unsentimentalen Blick auf Obdachlose oder legt die amerikanische konsumtrunkene „Christmas-Psychose“ bloß. Im nächsten Augenblick aber, im Wechsel vom erzählenden Ich zum erinnernden Du, durchfliegt sie im Mantel des Doktor Freud weit zurückliegende Stationen ihres Lebens, beschwört sie Szenen herauf, in denen sie oft liebevoll ihre längst verstorbenen Freunde porträtiert.
Den russischen Dichter Lew Kopelew etwa, wie er andächtig verzückt vor den Gräbern von Brecht und Seghers steht. Auch erinnert sich Wolf an Gespräche über Albert Einstein, den sie so humorvoll zeichnet, dass die Heiterkeit beim Publikum in herzliches Gelächter übergeht. Dabei hatte Reich-Ranicki sie einst als die humorloseste Autorin Deutschlands bezeichnet. Wie ein roter Faden durchzieht diese für ein Alterswerk nicht unbedingt typische, lakonisch witzige Frische die vorgelesenen Texte.
Diese Leichtigkeit, so der Moderator Hendrik Röder, überrasche den Leser des Buchs wohl ebenso wie das Bild Christa Wolfs als Star Trek-Serienfan. Dazu bekennt sie sich auch. Sie sei, gleich einer frühen Märchenliebe, für sehr einfach gestrickte TV-Storys anfällig, da dort am Ende immer die Guten siegten. Eine beruhigende Aussicht. Seelenruhig auch blickt die große alte Dame schließlich in den Saal, als sich zu beiden Seiten schier endlose Menschenschlangen bilden und sie bereitwillig und auskunftsfreudig noch zahlreiche ihrer Bücher signiert.
Daniel Flügel
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