Kultur: Bin das ich?
Literaturkurs stellte Fragen nach der eigenen Existenz
Stand:
„Bin ich falsch? Bin ich richtig? Bin ich wer? Ist das wichtig? Wann kann ich sagen: Das bin doch ich? ...“
Selten im Leben sind die Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz so bohrend wie in der Zeit des Erwachsenwerdens. Und in kaum einer anderen Entwicklungsphase werden so intensiv und leidenschaftlich Antworten in der Literatur gesucht. Für ihr Gedicht „Existenzfragen“ ließ sich die Potsdamer Helmholtz-Schülerin Christin Knüpfer von Thomas Glavinics Roman „Das bin doch ich“ inspirieren, mit dem sie sich innerhalb des Deutschleistungskurses der 12. Klasse beschäftigt hatte.
Nachzulesen ist das Gedicht im feuilletonistischen Journal „Bilder Bücher Konsum Welt“, für dessen Herausgabe sich Christin und ihre Mitschüler mit Tendenzen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur auseinandersetzten. Dabei richteten sie ihren Fokus auf die sechs für den Deutschen Buchpreis 2007 nominierten Romane. Sie lasen und rezensierten, führten Interviews mit den Autoren und – was am wichtigsten scheint – sie stellten die literarischen Aussagen in Beziehung zum eigenen Ich.
Auf welche Weise ihnen dies gelang, das zeigten die Schüler kürzlich während der Wissenschaftstage des Helmholtz-Gymnasiums in einer öffentlichen Präsentation ihres Literaturprojekts. Hatten sie in ihrer Publikation mit erstaunlicher Sprachfertigkeit und Genrekenntnis das ganze Repertoire journalistischer Darstellungsformen ausgeschöpft, sich sogar im Porträtieren und Glossieren versucht, so nutzten sie auf der Bühne ihrer Aula nun das szenische Spiel, Videos, illustrierende Fotografien und Musik, um den literarischen Inhalten, gebrochen durch die eigene Wahrnehmung, einen andersgestaltigen Ausdruck zu verleihen. Das war manchmal komisch, so wie in der Miniaturverfilmung von Martin Mosebachs „Der Mond und das Mädchen“ mit einer anknüpfenden ehetherapeutischen Talkrunde für die Protagonisten Hans und Ina, und manchmal schockierend, wie in den Filmsequenzen aus dem Drogenmilieu zu Katja Lange-Müllers „Böse Schafe“.
Ein anderer Weg der Annäherung an die Romanfiguren führte über das Verstehen der historischen Zusammenhänge. Dies gelang mit Julia Francks „Die Mittagsfrau“ ebenso wie mit Lange-Müllers „Böse Schafe“. So sehr das Berlin der Weltwirtschaftskrise bei Julia Franck oder auch die Ost-West-Teilung der Stadt bei Lange-Müller von der Lebenswirklichkeit der heute 18-Jährigen entfernt ist – so nahe kamen die Schüler dann doch den beide Romane durchziehenden Fragen nach den Möglichkeiten bedingungsloser Liebe.
Michael Köhlmeiers biografischem Buch „Abendland“ versuchten sich die Gymnasiasten eher über Assoziationen zu nähern, um sich schließlich selbst nach dem Woher und Wohin zu befragen. Ungleich leichter fiel ihnen das in Thomas Glavinics mit der Identität spielenden Roman „Das bin doch ich“, aber auch in Thomas von Steinaeckers Generationenroman „Wallner beginnt zu fliegen“, der die Schüler dazu anregte, über den Wandel von Familie und die eigene Herkunft nachzudenken. Und schließlich wie Christin Knüpfer in ihrem Gedicht danach zu forschen: „Wieso bin ich i c h?“ Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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