zum Hauptinhalt

Kultur: Bis in tiefschwarze Abgründe

„Mein Vaterland“ mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt/Oder

Stand:

Wohl jeder kennt „Die Moldau“ von Bedrich Smetana. Egal, ob man in Ost oder West zur Schule gegangen ist, das Werk gehörte zum Standardrepertoire des Musikunterrichts, Stichwort „Programmusik“. Dass die Moldau eine von sechs sinfonischen Dichtungen ist, mit denen Smetana seiner böhmisch-tschechische Heimat huldigt, wissen vielleicht noch manche. Aber wer, außerhalb von Tschechien, hat schon einmal den gesamten Zyklus gehört? Dem Nikolaisaal bescherte die abendfüllende Aufführung von „Mein Vaterland“ mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt/Oder unter der Leitung von Israel Yinon ein volles Haus. Die Zuhörer erlebten eine engagierte Interpretation, die vor allem die dramatischen Aspekte ins Licht setzte. Ergänzend trug der Schauspieler Moritz Führmann die angenehm knappen, informativen Originaltexte von Smetana zu jeden Satz vor.

Eigentlich tritt das Triangel eher selten im Orchester auf. Doch Smetana scheint ein besonderes Faible für das durchdringende Geklingel gehabt zu haben. In allen sechs Sätzen erklingt, vermehmlich bei den forte-, fortissimo- und sforzato-Stellen heftiges Triangelbimmeln, untermalt von Paukenschlägen, Bläserfanfaren oder Streicherwogen. Und davon gab es nicht wenige an diesem Abend. Selbst die Moldau, die mit ihren romantischen Facetten eine Ausnahme bildet, kommt nicht ohne Triangel aus.

Der erste, der Burg „Vyehrad“ gewidmete Satz, beschwört die nationale Historie. Auf ein langes Harfensolo, eine Reminiszenz an Gesänge mittelalterlicher Barden, folgen feierlich-pathetische Klänge in breiter symphonischer Prachtentfaltung. Bei der Naturschilderung der Moldau akzentuieren die Brandenburger vor allem Dynamik und Rhythmus, ohne den breit dahin strömenden Klang der Melodie aufzugeben. Leider verflüchtigte sich der Zauber der nächtlichen Elfenszene bei ziemlich glatt abgespulten Klängen. Dagegen meinte man bei den Stromschnellen, dass einem in den Pfiffen der Piccoloflöte die einzelnen Tropfen um die Ohren flögen, so spritzig war es.

Heroische Töne erklangen im dritten Satz „árka“ über eine Amazone aus der böhmischen Sage, die grausame Rache am männlichen Geschlecht übt. Smetana und das Orchester finden archaische, energische, schnell wechselnde Klangbilder. Einzelne Stellen, etwa Fagott und Klarinette, treten klar hervor, andere gehen im Getöse des Kampfgetümmels unter. Weniger lyrisch als deftig-tänzerisch wirkt der vierte Satz „Aus Böhmens Hain und Flur“, eine sehr dicht gearbeitete Folge stetig wechselnder Motive. Hier hätte sich der Dirigent etwas mehr Zeit für eine subtilere Gestaltung nehmen können, so blieb etwa das „dolce cantando“ kaum hörbar. „Tábor“ und „Blaník“, die beiden letzten Sätze erscheinen in der statischen Konzentration ihrer musikalischen Mittel äußerst imposant. Der monotone, fragmentierte Choral, dunkel drohende Klänge und helle, markante Streicherschwünge wie Messerschnitte entfalten expressive Stoßkräfte. Diese beiden Spätwerke des schon fast ertaubten Komponisten wirkten nicht einfach „grau in grau“, wie Smetana sagte, sondern führten bis in tiefschwarze Abgründe. Erst der triumphale Marschgesang mit Motiven des „Vyehrad“ bringt Zuversicht in das Finale und natürlich fehlte dabei nicht ein herzhaftesTriangelgebimmel.

Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })