Sandkasten in der Wilhelmgalerie: Bitte nur gucken!
Was aussieht wie ein Sandkasten, ist nicht immer einer - das dürfen Kinder in der Wilhelmgalerie in Potsdam jetzt lernen. Über ein lächerliches Abbild unserer von Verboten und Reglementierungen geprägten Gesellschaft.
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Es hat mittlerweile Tradition, dass im Atrium der Wilhelmgalerie zu den unterschiedlichsten Anlässen mit dekorativen Ausfällen zu rechnen ist. Beispielsweise zur Weihnachtszeit mit dem üblichen Beleuchtungsüberfluss oder zu Ostern mit menschengroßen Hasen, die durch ihre roboterhaften Bewegungswiederholungen eher furchteinflößend denn freundlich wirken. Je länger man diese Dekorationen betrachtete, umso häufiger stellte sich das Gefühl ein, dass das alles hilflos und immer irgendwie fehl am Platz wirkte. Bis es in der vergangenen Woche mal wieder soweit war und aus den Fenster der PNN-Redaktion der Aufbau einer neuen Kreation zu beobachten war.
Was dabei entstand, erinnert an einen großen Sandkasten mit Gummipalme, Liegestuhl und Sonnenschirm, Schwimmflossen und Buddelspielzeug für Kinder, etwas Strandatmosphäre auf ein paar Quadratmetern also. Nun mag man von solchen Gestaltungsideen halten was immer man will, eine gewisse Ironie lässt sich dieser Dekoration – nennen wir sie hier einfach „Sommer, Sonne, Urlaubsspaß“ – aber nicht absprechen. Denn wer das Atrium der Wilhelmgalerie kennt, weiß, dass die dortigen Cafés gern und ausgiebig von Eltern und Familien mit kleinen Kindern besucht werden. Hier ist genug Platz für Kinderwagen, hier ist genug Platz, damit die Kleinen spielen können. Und ausgerechnet hier wird eine Dekoration unter dem Motto „Sommer, Sonne, Urlaubsspaß“ aufgebaut, die mit mit dem Sand und dem Buddelspielzeug für die Kleinen regelrecht zur Aufforderung wird.
Es dauerte nur ein paar Stunden, da hatten die ersten Kinder diesen Sandkasten in Beschlag genommen. Und weil sie nicht lesen und auch ein Schild mit dem Piktogramm eines durchgestrichenen Kindes nicht deuten können, haben sie das mit einer Selbstverständlichkeit getan, die nur den Kleinsten eigen ist. In der PNN-Redaktion beobachteten wir dieses Treiben amüsiert, denn auch wenn dieses Stückchen Pseudostrand nach dem Kinderbesuch aussah, als hätte dort ein Orkan gewütet, war es einfach schön zu sehen, mit welcher Unbedarftheit hier Vorgaben missachtet wurden. Wie hier Unordnung in ein reglementiertes System gebracht wurde, weil die, die fern bleiben sollten, die Zeichen der Verbote und das damit verbundene Verhalten noch gar nicht kennen und nach ihren bisherigen Erfahrungen diese Dekoration nur als Einladung verstehen konnten: ein Kasten voller Sand, dazu Spielzeug – da muss ich hin.
Nun war zu erwarten, dass die Verantwortlichen diesen Regelbruch nicht hinnehmen würden. Vielleicht auch gar nicht können aus versicherungstechnischen Gründen für den Fall, dass es beim Spielen zu einem Unfall kommt. Nach der ersten Inbesitznahme durch die Kleinen wurde die verheerte Dekoration wieder aufgebaut. Doch schon am nächsten Tag bot sich das gleiche Bild: Kinder spielten in der Deko, die für sie ein Sandkasten ist. Die Redaktion machte davon Bilder und veröffentlichte sie auf der eigenen Facebook-Seite, wo sie unter reger und humorvoller Anteilnahme diskutiert wurden. Am vergangenen Dienstag schlug das Ganze dann in eine Groteske um.
Da konnte man am Nachmittag zwei Handwerker dabei beobachten, wie sie „Sommer, Sonne, Urlaubsspaß“ einen Zaun verpassten. Nicht sehr hoch, aber ganz dem Zweck entsprechend, wenn die Kinder schon nicht begreifen, dass es sich hier nicht um einen Spielplatz handelt, sie zumindest mit rabiaten Mitteln am Betreten gehindert werden. Dazu besagtes Schild mit dem durchgestrichenen Kind und einem „NO“ daneben und mehrere Hinweiszettel, auf denen mit roter Schrift steht: „Dekofläche. Bitte nicht betreten!“
Die Maßnahme erfüllt nun ihren Zweck. Seit Dienstag hat kein Kind mehr das eingezäunte Strandstück betreten. Verbotene Zone! Hier ist nur gucken erlaubt! Den meisten Kindern fällt das schwer. Und so ist immer wieder zu beobachten, wie ein kleiner Junge oder ein kleines Mädchen vor dem Zaun steht oder regelrecht an ihm hängt und dorthin möchte, wo es einen Buddelkasten sieht. Verständnisvolle Eltern versuchen dann zu erklären, was die Kleinen sowieso noch nicht verstehen. Somit sind diese wenigen Quadratmeter Pseudostrand unfreiwillig zu einem treffenden Abbild unserer Gesellschaft geworden, die so sehr von Verboten und Reglementierungen geprägt ist, dass manchen scheinbar gar nicht bewusst wird, wie lächerlich ein solches Stück eingezäunter Dekostrand wirken kann. Und wie makaber dieses kleine Schild daherkommt, auf dem ein Kind durchgestrichen ist und wie zur Bekräftigung daneben auch noch ein „NO“ steht. Das mag lustig gemeint sein, ist aber genau das Gegenteil.
Nun soll an dieser Stelle nicht von irgendwelchen Zaun- oder Mauergleichnissen die Rede sein, auch wenn diese missglückte Dekofläche förmlich dazu einlädt. So, wie sie da jetzt im Atrium der Wilhelmgalerie zu bewundern ist, eingezäunt und herrlich sinnfrei, ist sie nur noch lächerlich und für Kinder einfach eine Zumutung. Wie ein Spielzeug, das sie nur angucken, aber bloß nicht anfassen oder gar benutzen dürfen. Die Grundidee für diese Dekoration war mit Sicherheit von bester Absicht geprägt. Nur leider funktioniert sie an diesem Ort einfach nicht. In diesem Sinne: Lasst die Kinder rein oder baut sie ganz schnell wieder ab!
Dirk Becker
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