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Kultur: Blasen-Sprung

Musiktheater aus Ungarn mit Floptwitterer

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Ein irgendwie räudiges Bild von Theater zeigte die Bladder Circus Company, was mit Blasenzirkus übersetzt werden kann. Ob damit von den menschlichen Ausscheidungen auf die kreativen geschlossen werden soll, weiß der Zuschauer am Freitag Abend nicht. Es gibt, wie oft beim Festival für osteuropäisches Off-Theater, unüberwindliche Sprachschwierigkeiten. Alle Plätze der zweiten Aufführung des Unidram-Festivals sind besetzt. Auf ihnen lagen Zettel mit der deutschen Übersetzung bereit. Es soll sich um Thomas Bernhard-Zitate gehandelt haben. Aber zum räudigen Bühnenbild, eine Art Kellerantiquariat für obskure Musikinstrumente, passt das schummrige Licht, das ein Mitlesen natürlich gar nicht erlaubt.

Die Sache mit dem Off-Theater ist einfach. Richtiges Theater folgt einem Kanon, der es zulässt, Erwartungen an das Stück zu haben. Off-Theater ist das Gegenstück dazu. Der Zuschauer freut sich darauf, überrascht zu werden, denn so ein Off-Theater macht alles immer ein wenig anders. Hat man Glück, entstehen so unbekannte Stimmungen, Atmosphären und Gefühlslagen. Der Blasenzirkus fängt so gesehen ganz gut an.

Ein Bärtiger mit schäbigem Zylinder sitzt schon eine Ewigkeit an seinem Notenpult und schläft seinen Rausch aus. Bis Szabolcs Szöke, Schauspieler, Jazzmusiker und Gründer der Theatergruppe, mit einer hochgehobenen Kerze einen Nylonfaden durchbrennt, an dem ein Ball hängt, der nun gegen einen Gong fliegt: „Gong!“.

Nach dieser Überraschung kocht sich Szöke auf einem Campingkocher zunächst in einer langwierigen Zeremonie einen Tee. Die Zeit ist ein wichtiger Faktor beim Theater und in der Musik. Auf der Bühne steht ein riesiges Metronom, ein Taktgeber, allerdings im Ruhezustand. Der Zuschauer lernt schnell, dass Zeit in diesem Stück keine Rolle spielt. Sie wie so zerdehnt, dass schon Lacher von den Rängen kommen, wenn Szöke sich den Süßstoff überdosiert. Der Blasenzirkus führt so vor, dass unerfüllte Erwartungen vom Publikum selbst gefüllt werden können. Später lacht man über den jetzt aufgewachten blinden, sich ständig Rotwein nachgießenden Trichterhornspieler, der einfach mal unmotiviert Minuten lang loslacht. Im Grunde nicht komisch, aber nach den Gesetzen des Off-Theaters eben genau das Gegenteil.

Langsam formiert sich ein merkwürdiges Orchester, in abgetragenen, schwarzen Kleidern, einer mit Kopfverband. Ein richtiges Unterschichtenensemble. Die Instrumente sind selbstgebastelt, wie die Violine ohne Holzkorpus aber mit Trompetentrichter, die Kommode mit Resonanzloch, aus der Nägel herausragen, die mit dem Bogen gestrichen werden, oder das Glasxylophon. Bis die einzelnen Musiker an ihren Plätzen sitzen, vergehen unendlich lange Momente, in denen auf klingenden Seilen geklopft wird und Spiegeleier – wieder auf dem Campingkocher – zubereitet werden. Klar, irgendetwas muss passieren, das über die clowneske Aussage des Nagelkommodenspielers hinaus geht, der seinen Arm plötzlich nicht mehr aus dem Kasten bekommt und daher hilflos und ungeschickt grimassiert. Er hat dafür schon die Lacher auf seiner Seite. Immer mal wieder fällt jemand, der sich dort versteckt hält, aus dem Metronomkasten heraus.

Dann, endlich, kommt eine derangierte Diva angestolpert. Hochtoupierte Haare, Niveacreme im Gesicht. Sie trifft die Töne zunächst ordentlich und klassisch kolorierend, dann krächzt sie nur noch. Das klingt schon eher nach Off-Theater. Ein Musikant reicht ihr als Medizin – na, was? – die hellgelbe Flüssigkeit, die er hinter der Bühne sammelte.

Beim Off-Theater darf man alles, nur nicht nach einer direkten Aussage fragen. Man muss das Stück mehr von ganz tief drinnen erspüren. Es geht nicht um ein logisches Verstehen. Das funktioniert in etwa wie Schamanismus, den kann man auch nicht verstehen. Deswegen: Toll, wie der Blasenzirkus auf witzige Weise in einem total versponnenen Bühnenbild auf relevante Handlung ganz verzichtete, und dabei auf nie gesehenen Instrumenten zum Teil richtig schön musizierte. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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