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Mit dem Soundtrack für seine Stadt. Der Potsdamer DJ Knick Neck bringt Hip Hop wieder ins Waschhaus zurück.

© promo

Kultur: Bleib mir weg mit Gangsta-Rap

DJ Knick Neck hat den Hip Hop seiner Stadt auf einer Platte vereint und lädt zu Flava ins Waschhaus

Stand:

Es ist schon ziemlich lange her, als DJ Knick Neck mit Hip Hop in Kontakt kam. So lange, dass sich die, die ihn heute feiern, gar nicht mehr daran erinnern können – ach was: Die meisten waren da noch gar nicht geboren. 1984 war das Jahr, in dem „Beat Street“ in die Kinos kam, ein Film über die noch blutjunge Breakdance- und Sprayer-Szene der Bronx, und ausgerechnet in einem Land, das weit entfernt von der afroamerikanischen Kultur entfernt zu sein scheint, schlägt er ganz besonders ein. In diesem Land, in der Zone, in Potsdam, sieht auch Jens Rettig diesen Film – und ist infiziert. „Wenn du diesen Film gesehen hast, wolltest du unbedingt Breakdancer, DJ oder Sprayer sein“, erzählt er. 1990 lernt er während seiner Lehre „Crystal K“ kennen, der seine Begeisterung teilt – und begann mit ihm die ersten Songs zu schreiben. Ab da traf man sich mit anderen Potsdamer Hip-Hop-Crews im Club 18 am Stern, man wollte zusammen etwas erreichen; es kommt zur Gründung der PDM Posse.

„Ich habe mir damals einen Plattenspielerbausatz gekauft, den musste man noch selbst zusammenbauen. Wir haben dann auf Beats gerappt und die ersten Partys im Club 18 gemacht“, erinnert sich Knick Neck, der gerade mit „Meine Stadt“ ein Album mit Hip Hop made in Potsdam herausgebracht hat und seit Dezember im Waschhaus die monatliche Hip-Hop-Party „Flava“ organisiert. Die ersten Beats sind mit Overdub-Recording entstanden, mit zwei Tapedecks auf zwei Spuren. Und 1991 dann die erste Veröffentlichung, auf dem „VibraZone“-Sampler der Berliner SWAT Posse gab es einen Beitrag von der PDM Posse. 1994 lernten dann die ersten eigenen Beats laufen: mit dem Akai S950-Sampler, ein 16-Bit-Gerät. Man rannte in den Plattenladen oder auf Flohmärkte, um 70er-Jahre-Sampleplatten zu besorgen, klemmte ein Midi-Keyboard an und machte die Beats mit den Tasten dazu – alles analog. Das Ganze wurde dann noch geloopt und gepitcht: „Ich mag diesen analogen Sound, nicht diese künstlichen Beats.“ Die Orientierung war eindeutig am Hip Hop der 90er Jahre. Und die Konzerte als Support lesen sich wie ein Who-is-who der Hip-Hop-Szene der Neunziger: De La Soul ist dabei, der Wu-Tang Clan, alles was Rang und Namen hat.

„1991 gab es noch keinen Deutschrap, es gab zwar die ersten Gehversuche der Fantastischen Vier, aber die fanden wir alle richtig schlecht. Mit Deutschrap habe ich mich erst viel, viel später angefreundet.“ Erst ab Mitte der Neunziger setzte der sich durch, mit Kool Savas, Massive Töne oder Freundeskreis etwa – aber PDM Posse war da noch grundsätzlich englisch. Auch Knick Neck fühlt sich immer noch den amerikanischen Klassikern verpflichtet, den goldenen Neunzigern, bevor der Gangsta-Rap den klassischen Hip Hop immer mehr verdrängte. „Dieses ewige Bling-bling, reich sein – das hat doch den ganzen Spaßfaktor zerstört“, ist er überzeugt. „Aber auch das stirbt aus. Gangsta-Rap ist tot.“

Die Potsdamer Hip-Hop-Szene sei nicht mehr so toll wie in den 90er-Jahren. Viele machten zu wenig, dümpelten vor sich hin. Knick Neck geisterte schon lange im Kopf herum, die Potsdamer Szene auf einem Album zu vereinen, aber bisher fehlte einfach die Zeit. Jetzt hat es doch geklappt, pressfrisch hält er die neue Scheibe, ein weißes Cover, tolles Artwork des Potsdamer Street-Art-Künstlers „Mynok“: Knick Neck vor einem stilisierten Plattenteller, der aus der Erde besteht, darauf die „Skyline“ von Potsdam: „Meine Stadt“ ist der Titel des Albums. „Hip Hop ist sehr persönlich, sehr minimal, man braucht nichts Neues zu erfinden.“ Und doch hat er etwas Neues erfunden, hat seiner Stadt einen Soundtrack hinterlassen.

Ende Dezember, Waschhaus: Die erste „Flava“ steht an, nachdem das Waschhaus den Hip Hop recht lange anderen Institutionen überlassen hatte. Es ist Freitagabend, und das Waschhaus ist erstaunlich gut gefüllt. Der 39-jährige Knick Neck steht hinter den Plattenspielern, er sieht entspannt aus, beobachtend, er weiß, dass das heute seine Party ist, seine Record-Release-Party – aber trotz Planung hat nicht alles so geklappt, wie es klappen sollte: Das Presswerk hatte Lieferschwierigkeiten, der Silberling kommt verspätet. Dennoch findet die Party statt, immerhin sind die Unterstützer gekommen. Man sollte sich warm anziehen, wenn man auf dicke Hose machen will – eine der offenbaren Grundregeln des Dresscodes scheinbar, wenn man sich auf die Bühne eines Hip-Hop-Events begeben möchte. Die beiden Freestyler im Vorprogramm waren jedenfalls optisch schon mal eine Augenweide: einer im schlichten Nachthemd, der andere in optimal Coolness konservierender dicker Jacke. Auf jeden Fall waren die Jungs authentisch; Freestyle hat so seine Hürden, und man hatte da schon durchaus Fantasieloseres gehört.

Und dann kam sein Abend, sein Album, seine Party: Knick Necks Beats waren einnehmend, besonders wenn er sich in den alten Schubladen bediente – bevor der Gangsta-Rap zu einem salonfähigen Modephänomen wurde und seine Seele an den Pop verkaufte. Allerdings geht auch er mit der Zeit, und so ging die Tendenz mehr und mehr in Richtung des neueren deutschen Hip-Hops, der zwar durch kräftige Beats besticht, rundherum aber immer ein bisschen minimalistisch wirkt und den Fokus auf die Texte legt. Der Titeltrack des Abends „Meine Stadt“ ließ zumindest den Bounce-Faktor kommen, inklusive Contest, wer bei „Dis is “ am lautesten „Meine Stadt“ antworten konnte. Nebenan, im geöffneten Backstageraum, gab es anschließend mit „Spinmaster K.S.“ doch wieder die Rückbesinnung auf den klassischen amerikanischen Hip-Hop, East Coast/West Coast.

Drei Wochen später wieder „Flava“ im Waschhaus, diesmal mit der Scheibe im Gepäck und Support von „2 Zimmer Gefüge“ aus Saarbrücken, ganz am anderen Ende des Landes. Es ist nicht mehr so brechend voll wie zur ersten Party, aber der Sound ist besser, geht irgendwie leichter ins Ohr, es ist ein ausgelassener Abend. In der Pause steht Knick Neck draußen, eine Zigarette in der Hand, es ging gerade in einer Diskussion darum, dass viel Arbeit in der Scheibe steckt, viel zu viel, um sie einfach rauszuhauen. Knick Neck hat hohe Ansprüche, arbeitet so professionell wie möglich.

„Ich habe keinen Bock auf Sellout“, wird er später sagen. „Ich mache keine Popmusik, ich will underground bleiben.“ Charts interessieren ihn nicht, und leben kann er von seiner Musik auch nicht. Er hat sich die Technik angeschafft, macht alles zu Hause, alles wird von Hand gemastert – „die Erfahrung habe ich ja.“ Aber er möchte fair bleiben, auch beim Preis. Deshalb gibt es „Meine Stadt“ nur bei ihm oder im „Writers Heaven“ in der Brandenburger Straße. „Bei Amazon oder iTunes wirst du die vergeblich suchen.“ Und doch sind viele Potsdamer noch unberücksichtigt geblieben: „Ein zweiter Teil kommt, ganz sicher“, sagt Knick Neck.

„Flava“ wieder am Freitag, 8. Februar, um 23 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 5 Euro

Oliver Dietrich

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