Kultur: „Bleiben Sie nur gesund!“
Chris Doerk las im Kulturhaus Babelsberg „La casita“ – Geschichten aus Kuba
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Die Vergangenheit vor Augen, Kuba im Herzen, im Blut die Musik, so trat die heute in Vergessenheit geratene Sängerin Chris Doerk vor ein Mini-Publikum. Die Kultur-Aktivisten des Babelsberger Rathauses hatten sie zur Lesung ihres 2002 erschienenen Memorien-Bändchens „La casita“–Geschichten aus Kuba“ geladen. Kerzen und Salz-Knabbereien am Tische, vorab ein Film mit Schwarz-Weiß-Fotos, worin sie mit Verve die Insel des „Großen Leaders“ besingt. Sie selbst betrat, mit Silberstern an der Kappe, etwas verlegen die Bühne. „Guten Tag, geht“s Ihnen gut?“ Es geht. Ihre erfolgreichsten Jahre sind lange vorbei, an der Seite von Frank Schöbel, bei umjubelten Konzerten im In- und im Ausland. Als sie 1970 zum ersten Mal zu einem internationalen Schlagerfestival nach Kuba kam, verliebte sie sich spontan in die Insel. Der nicht immer erquickenden Hotel-Unterkünfte müde, traten Freunde ihr (nebst Gatten Klaus) ein uraltes Hüttchen am Strand von Cojimar ab, La casita eben. Hier lebten der Bildhauer Osneldo, Hemingways Kapitän Gregorio, welcher die „alemanita“ zu seiner fünften Tochter kürte. Die meisten der so hübsch geschriebenen Geschichten und Schnurren spielen denn auch bei diesem Flecken. Sie erzählt, wie man einen gewaltigen Berg Haifisch-Abfälle im Ort abkippte, welcher massenhaft Fliegen gebar und erst weggeräumt wurde, als es einem „hohen Funktionär“ der Nachbarschaft allzu sehr stank, von gefräßigen Schildkröten und hilfsbedürftigen Hunden, einer Voodoo-Behandlung, oder wie sie gegen einen vorging, der illegal Peso in Dollar eintauschen wollte.
Viele dieser Texte klangen ein wenig verklärt, aber sollte man einer Frau solche Liebe nicht lassen, all die Erinnerungen? Auf Kuba haben Fans ihre Babys nach dem vollen Namen der Sängerin benannt, hier lebt ihr Sohn und will nicht zurück, hier gibt es die leckersten Früchte, die schönsten Blüten. Auch ein kostenloses Gesundheitssystem für alle, neben den neuen Kliniken für liquide Ausländer. „Bleiben Sie nur gesund!“, so sprach sie mit Blick auf Deutschland ins lauschende Dutzend. Chris Doerk, des Spanischen mächtig, hat die Insel 26-mal besucht. Ihr Buch war dort ein guter Erfolg. Aber sie ließ keinen Zweifel, dass es jenseits der vordergründigen Menschenrechts-Diskussion noch ein anderes Kuba gibt. Es macht bitter, wenn die Medien über die gewaltigen Schäden des Hurrikans Wilma in Florida heulten, aber die meterhohen Wellen in der Insel-Hauptstadt verschwiegen. Überhaupt habe der Dollar-Tourismus ihre „zweite Heimat“ kaputtgemacht, und Fidél gehe es leider nicht gut. Das Volk frage verunsichert, „was danach“ komme. Durch ihre Freundin hat sie neuerdings von Überfällen mit Messern gehört: Mulatten forderten Schuhe und Kleidung – das gab es „damals“ nicht. In solchen Berichten war immer jenes merkwürdige Lachen dabei, das man im lateinischen Amerika pflegt, falls es zu arg ist.
Wie ihrer Insel, so geht es der mitten im Kriege geborenen Künstlerin wohl auch selbst. Ihre Stupsnase hat nach 1990 kein Comeback erlebt. Mitwirkung an einem einzigen Film, Angebote, die alten Lieder aus der Konserve in Kaufhäusern zu mimen, keine Nachauflage für ihr Buch in Sicht – am liebsten würde sie, „verrückt nach Tieren und süchtig nach Obst“, in einem Reservat fürs Viehzeug arbeiten. Alles vorbei? Kuba in Not, Gregorio gestorben, an la casita gibt es nur noch Erinnerungen – ein Sturm spülte längst das Hüttchen davon. So sind die Exempel des Lebens. „Bleiben Sie nur gesund!!“ Gerold Paul
Gerold Paul
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