zum Hauptinhalt
Kati Witt auf dem Bürostuhl: Nina Tecklenburg tanzt die Carmen-Choreografie – allen linken Idealen zum Trotz.

© Promo

Potsdamer Theaterfestival Unidram: Blick zurück im Zorn

Zum Auftakt des 20. Jubiläums leistet sich das Potsdamer Theaterfestival Unidram einen Blick auf Ost-West-Vorurteile.

Stand:

Ein Stück über die Schubladen „Ost“ und „West“ – muss das sein, 24 Jahre nach dem Fall der Mauer? Sind wir da nicht längst darüber weg? Bundespräsident und Bundeskanzlerin sind ostsozialisiert, den Soli brauchen heute manche alten Bundesländer. Man kann aber genauer hinsehen. Dahin, wo es wehtut. Ins Private. Das macht das Berliner Perfomance-Kollektiv She She Pop, die mit ihrem Stück „Schubladen“ am Dienstag, zum 20. Jubiläum, das Potsdamer Unidram-Theaterfestival eröffnet haben. Das blickte in seinen Anfangsjahren vor allem nach Osten, hat sich inzwischen aber längst internationalisiert.

Jetzt sitzen sich am Eröffnungsabend diese sechs Frauen auf der Bühne gegenüber, drei mit Ost- und drei mit Westvergangenheit, und versuchen, sich anzunähern: Dazu plündern sie die Bücherschränke ihrer Mütter, Schulbücher, Tagebücher und Plattenregale. Dort finden sie erst einmal viel, was sie trennt. „Das Drama des begabten Kindes“ – über diesen Titel von Alice Miller, den wohl jede akademisch geschulte Westmutter in den 1970er-Jahren zu hause hatte, können die Ostfrauen nur verständnislos lachen. Ob sie begabt waren oder nicht, das fanden sie einfach selbst heraus. Ihre Mütter waren Arbeiter, warum da ein -In drangehören soll, wie die Westfrauen immer wieder einwerfen, ist ihnen nicht ganz klar.

So sitzen sich die Frauen bei den ideologisch aufgeladenen Themen Familie und Erziehung erst einmal abfällig grinsend gegenüber. Aber sie befragen sich immer weiter, bis sie merken: Auch ihre Eltern hatten Zweifel, natürlich. Die einen gefangen im System, die anderen in tradierten Familienstrukturen. Deutlich wird das beim Thema Kapitalismus. Den fanden alle schlecht – aber unter völlig verschiedenen Vorzeichen: Die griechischen Onkel der westdeutschen Großbürgerstochter Ilia Papatheodorou zum Beispiel, waren intellektuelle Marxisten, was ihre Mutter nicht daran hinderte, wöchentlich 1000 Mark Haushaltsgeld abzuheben.

Zeit für eine kurze Lagerbesprechung: Die Ostfrauen treffen sich bei einer Flasche Vodka, fragen sich, warum diese überbehüteten und unterentwickelten Westfrauen immer nur Prosecco trinken. Die stoßen in der Zwischenzeit mit Piccolöchen auf sich selbst an – immerhin sind sie besser gekleidet als die Ostfrauen.Dann finden sich aber doch zwei Vorbilder, auf die sich alle einigen können: Heiner Müller und „Ton Steine Scherben“. Zu „Wir müssen hier raus“ headbangen sie auf ihren Bürostühlen. „Geboren, um frei zu sein“, besser kann man gar nicht auf den Punkt bringen, was sie alle verbindet. Als Wenke Seemann (Osten) und Nina Tecklenburg (Westen) die „Carmen“-Choreografie von Kati Witt nachtanzen, halten die nicht nur einige der Ostmädchen für eine eklige Anbiederung an den Kapitalismus. Aber Seemann und Tecklenburg zelebrieren ihre Mädchenfantasie so hinreißend über alle Mauern hinweg, dass die anderen vier nicht anders können als sie gewähren zu lassen.

Ganz versöhnlich endet „Schubladen“ nicht, am Ende brüllen sich die Frauen ihre Enttäuschungen um die Ohren: „Hast Du eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man für jeden Scheiß verantwortlich gemacht wird, der in Deinem Leben schief geht?“ Und wie, wenn man den Kapitalismus für eine Zumutung hält, aber keine Alternative mehr hat – „wegen Dir!“. Wenn man von ostdeutschen Pfarrersdynastien regiert wird – „wegen eurer Schwäche“. So groß die Trennung in allem Gelernten ist – so gering ist sie bei den grundsätzlichen Fragen. „Denkst du links? Alle heben die Hand. Denkst du liberal? Die selbe Antwort. Als Feministin? Gut, hier heben nur die Westfrauen die Hand – aber die Ostfrauen haben den ganzen Abend über ihre Unabhängigkeit demonstriert.

Am Ende möchte man mit allen sechs Frauen Vodka trinken gehen. Zur Not auch einen Prosecco. Ariane Lemme

Die Lichter blitzen – rot, blau, grün und gelb. Im basslastigen Rhythmus verschwimmt alles zu einem bunten Meer. Doch scheint der Weg zur Farblosigkeit nicht weit, zum Dröhnen der Stille – dort zeigt der Tod in eisigem Blau sein kältestes Gesicht. Wurde das Leben in der Uraufführung der Performance „Monochrom“ der russischen Künstlergruppe Akhe am Mittwochabend bei Unidram noch in all seinen Farben gefeiert, machte Città di Ebla im Anschluss in „The Dead“ die Vergänglichkeit zum Thema.

Es begann bei „Monochrom“ wie ein leicht skurriles Heavy-Metal-Konzert: Harte Gitarrensounds, lautes Gegröle in die Mikrofone und unterschwellige Aggression erfüllten das Waschhaus. Dann folgte eine überraschende Farbexplosion. Rote Farbe vernebelte den beiden Künstlern Maxim Isaev und Pavel Semtchenko kurzzeitig die Sicht, sie sprühten sich in ihre Gesichter. Farbkunst im weitesten Sinne. Vom eigenen Körper gingen sie schnell zu den mehreren Lagen weißer T-Shirts über, die die beiden auf der Bühne trugen. Nun wurden sie zur Leinwand. Immer schneller wurden die Aktionen, immer hektischer die Bewegungen. Dazu die stetig hämmernden Beats der Musik. Je abgedrehter die Performance auf der Bühne wurde, desto mehr Spaß schien auch das Publikum zu haben. Es ließ sich anstecken von dem Gefühl purer und bunter Lebensfreude, die von der Bühne ausging.

Die Stille, mit der die Deutschland-Premiere von „The Dead“ der italienischen Theatergruppe Città di Ebla im T-Werk dann begann, hätte kaum ein größerer Kontrast sein können. Nur das Prasseln von Feuer oder das Platzen von Regentropfen auf dem Boden waren zu hören. Eine Frau durchlief einsam einen Raum hinter einer durchsichtigen Leinwand. Nach und nach wurde der Raum erleuchtet, es war ihr Schlafzimmer, das sie einst mit einem geliebten Menschen geteilt hatte. Die Möbel und Bilder wurden zu Objekten in ihren Erinnerungen.

„The Dead“ zeigte ein intimes Porträt einer Beziehung zweier Menschen, einen Raum, der sonst nur den beiden Liebenden vorbehalten war. Ein einziger Satz gab dem Schauspiel auf der Bühne seinen Sinn: He ist dead. Die Stille wurde zu einem dröhnenden Rauschen, immer lauter, immer eindringlicher, wie der Schmerz dieser jungen Frau, kannte es keine Grenzen. Ein beklemmendes Gefühl machte sich unter den Zuschauern breit. Fast als würde man lieber wegschauen, als einen anderen Menschen so leiden zu sehen. Valentina Bravetti zeigte mit zarten Berührungen und schmerzverkrümmten Körper, welche Qual ein Verlust auslösen kann. Die Gewalt des Alleinseins brach über dem Zuschauer zusammen und dann war er doch da, der Moment des Erwachens dieser jungen Frau. Die Lichter gingen an, die Farbe kehrte zurück in den Raum.

Der Weg zwischen Licht und Dunkel war an diesem Abend ein kurzer. So unterschiedlich die beiden Performances auch sein mochten, war die eine am Ende doch die Ergänzung der anderen. Denn beide zeigten das Leben, nur in anderen Facetten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })