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Kultur: Blinde Liebe

Dea Lohers Blaubart im T-Werk in der Inszenierung von Matthias Stier

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Liebe, was ist das schon, außer einem großen Wort? Den Märchenstoff über den verliebten König mit dem grausamen Geheimnis, der seine Prinzessin auf eine Probe stellt, haben schon viele bearbeitet, u. a. Max Frisch, Alfred Döblin oder Peter Rühmkorf. In der Version des Stoffes von Dea Loher aber, die zu den wichtigsten jungen Dramatikern des Landes gehört, ist die Liebe ein Fluch, den man nicht abstreifen kann.

Der Regisseur Matthias Stier hat Lohers 1997 geschriebenes Stück „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ am Freitag für das T-Werk inszeniert. Das Haus war voll, die Luft am Ende der visuell strengen und mit äußerster Disziplin vorgetragenen zwei Stunden wurde dünn.

Die Liebe wird hier von den vier Schauspielerinnen, die dem modernen Heinrich Blaubart zusetzen, zu einem Albtraum. Aus dem König ist nun ein ziemlich tumber Schuhverkäufer geworden, ein Allerweltsmensch. Arglos und mit einem leichten Clownsblitzen in den Augen spielt Falk-Willy Wild den Protagonisten als jemanden, der – ganz in der Moderne angekommen – Opfer der Umstände wird. Ahnungslos sitzt er Eis schleckend auf einer Park im Englischen Garten, da kommt Julia daher (Wanda Perdelwitz). Keine zwei Stunden später sind beide fest davon überzeugt, sich unsterblich zu lieben und haben so gut wie geheiratet. „Über alle Maßen“ beharrt Julia, sei ihre Liebe. Heinrich will nicht mit. Makaber, dass sie, um dem romantischen Ideal Nachdruck zu verleihen, schnell zum Gift und gleich darauf tot umkippt.

Aber ist die erste Liebe nicht das Ideal, dem wir später unser gesamtes Leben nacheilen? Auch, wenn sie misslungen war? „Blaubart“ ist eine Farce, die keine Antworten darauf parat hat. Aber Stiers Inszenierung öffnet einen dieser magischen Theaterräume, in denen die Wirklichkeit für einen Abend ausgehebelt ist. Heinrich sucht Trost bei anderen Frauen, und setzt sich der Vereinnahmung durch deren Liebe durch Tötung zur Wehr. Ein Gemeuchel mit surrealen Zügen, aber eine offene Metaphorik, die die Premierenzuschauer rätseln lässt.

Die Frau, die ihre Stimme verloren hatte (Doerthe Bandt) und nun schöne Worte wie Alabama oder Hasenpfeffer sammelt , wird erwürgt, die Zudringlichkeit des Mädchens am Bahnhof, das sich von Blaubarts Liebe Ruhe verspricht, erstickt er mit einem Kissen. Was wir haben können, wollen wir nicht, und was hinfort ist, begehren wir. Wie kindlich ist die Liebe, wie dumm diese Sehnsucht. Das Drama macht sich darüber lustig, indem jede Liebe der Frauen schnell mit dem Tode bestraft wird. Schaut, sagt das Stück, ihr Gänse verliebt Euch, und am Ende hing der Kerl nur an seinem alten Schmerz. Der arme Blaubart fühlt sich trotzdem nur als Opfer. Sogar die professionelle Sexarbeiterin (Irma Wagner) verfällt seiner Schuhverkäufereinfalt und zeigt Gefühl.

Was bei Stiers Inszenierung besonders beeindruckt, ist ihre hohe spielerische Präzision. Ein Chor aus mal drei, mal sogar vier Sprecherinnen kommentiert in Lohers Kunstworten unisono mit großartigem Rhythmus und Geschwindigkeit Blaubarts Tun. Diese Einschübe sind wichtig: Hier geht es um kein modernes, besonders brutales Märchen, bedeuten sie. Allen Akteuren gelingt es hervorragend, ihre Rollen auf der dünnen Linie zwischen Würde und handfestem Spleen auszubalancieren.

Hier wird nach den Möglichkeiten und Bedingungen der Liebe in einer absurden Welt gefragt. Der Mann, ein Feigling und Dümmling, der die Liebe nicht verdient. Und die Frauen haben mit ihrer Neurose schon genug zu tun.

Wen wundert es da, dass an der Kitsch triefenden Auflösung, die das Stück am Ende dem Zuschauer zu gönnen bereit ist, eine Blinde schuld ist. Je blinder wir in gewissen Dingen sind, desto mehr Chancen hat die Liebe!

Weitere Aufführungen: T-Werk, Schiffbauergasse, 6., 8. und 9. April, 31. Mai, 1. und 2. Juni, 20 Uhr.

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