
© HL Böhme/HOT
Kultur: Bloß runter von dieser Insel!
Premiere von „Eye of the Storm“ in der Reithalle
Stand:
Stefanie hat den Schritt gewagt. Am Anfang zögernd und unsicher. Sie weiß schließlich, dass ihr das Leben da draußen einiges bieten wird, was nicht immer zum Erfreulichen gehört. Doch mit jedem weiteren Schritt wird sie selbstbewusster. Denn was sich zuerst mehr wie ein Abgrund angefühlt hat, ist zu einem Meer an Möglichkeiten geworden. Nun liegt es an ihr.
Miranda wird den Schritt auch wagen. Ihre anfängliche Euphorie weicht dabei schnell einer Unsicherheit. Zwar weiß sie nicht, was sie dort draußen, in dem anderen Leben, erwarten wird. Doch da ist eine dunkle Ahnung, dass es sich anders gestalten wird als auf ihrer so vertrauten Insel. Von dem Meer der Möglichkeiten ahnt sie noch nichts. Und auch wenn Stefanie verspricht, ihr als Freundin zu Seite stehen: Es liegt nun allein an ihr.
Was Stefanie und Miranda verbindet, ist das Ausbrechen aus einem Gefängnis, das wohlmeinender kaum sein kann. Das Gefängnis namens Elternliebe. Die Gitterstäbe bestehen hier aus Sorgen, die Schlösser aus Verboten. Die Lebenserfahrung macht Eltern nicht klüger, nur vorsichtiger. Sie wollen verhindern, dass ihren Kindern Schlimmes widerfährt. Ein sinnloses Unterfangen. Und je stärker sie versuchen, diese heile Welt vorzugaukeln, umso schlimmer wird die Situation für die Kinder. Dass muss in „Eye of the Storm“ am stärksten Miranda erfahren.
Shakespeares „Der Sturm“ hat den Engländer Charles Way zu seinem Jugendtheaterstück „Eye of the Storm“ inspiriert, das am Donnerstag in der Regie von Andreas Rehschuh im Hans Otto Theater Premiere feierte. Wie bei Shakespeare leben hier Prospero und seine Tochter auf einer Insel, die Prospero dank der erzwungenen Hilfe des Luftgeistes Ariel von dem Rest der Welt abgeschottet hat. Doch nicht das Schiff des Königs von Neapel strandet auf der Insel. Bei Way ist es ein „kleines, dummes Boot“, in dem sich Stefano und Trinculo mehr drängen als sich frei bewegen.
Stefano, das ist die als Junge verkleidete Stefanie, die als Matrose auf einem Schiff anheuern will, um so ihrer fürsorglichen Mutter zu entkommen. Trinculo ist ein herrlicher Maulheld, der Stefanie für zehn Goldtaler verspricht, sie auf ein Schiff zu bringen. Es ist reines Vergnügen, Svenja Wasser und Florian Lenz auf der Bühne zu erleben. Dieses halbstarke, die eigene Unsicherheit nur schwer zu kaschierende Gehabe von Trinculo und das immer stärker werdende Selbstbewusstsein von Stefano/Stefanie. Und wie die beiden dann auf der verzauberten Insel sitzen, gestrandet, ohne Boot, und Stefano/Stefanie dem so erfahrenen Seemann Trinculo mit wachsender Ungeduld zeigen muss, wie Papierschiffe gefaltet werden.
Auf der Insel, die von einem großen, weißen Baumfelsen dominiert wird (Bühne: Eva–Maria Westerveld) werden sie von Miranda entdeckt, die als einzigen Mann bisher nur ihren Vater gekannt hat. Als sie Trinculo sieht, ist es um sie geschehen. Ihm ergeht es nicht anders, obwohl er gegenüber Stefano/Stefanie das natürlich relativiert. Und da sie mehr über ihn weiß als er sich wünschen könnte, entsteht so ein herrliches Dreieckspiel zwischen Stefano/Stefanie, Miranda und Trinculo.
Friederike Walke spielt die Miranda anfangs als verwöhnte Göre, die lieber lange schlafen als ihren Geburtstag feiern will. Als ihr Vater – Jörg Seyer mit guttenberggegelten Haaren und einer seltenen Geschmacklosigkeit von Zauberumhang – sein Versprechen nicht halten will, ihr endlich die ganze Wahrheit über seine Vergangenheit zu erzählen, eskaliert die Situation. Miranda tobt. Und wie sie tobt. Da wehrt sich eine noch unsichere, aber immer selbstbewusster werdende junge Frau, die nicht mehr das Kind ist, das ihr Vater in ihr sehen will. Die Gitterstäbe aus Vaters Sorgen durchbricht sie mit einem Schrei. Ein Schrei, in dem neben der Angst vor allem auch die Freude auf das, was auf sie zukommt, zu hören ist. Dirk Becker
Wieder am 22. und 23. Juni, um 18 Uhr, in der Reithalle, Schiffbauergasse
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: