Kultur: Boshaft
Ein Abend für Thomas Bernhard
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Dieser haarsträubend-herrliche Furor, dieses lustvolle Geschimpfe. Der Genuss beim Lesen diese Tiraden, ganz nah dran zu sein, während sich einer was traut. Draufhaut, ohne Rücksicht auf Verluste. Alles und jeden mit seiner Wut, seinem Hass traktiert, sich selbst dabei nicht ausnimmt. Keiner hat so herz- und boshaft geschimpft wie Thomas Bernhard.
Im Januar ist im Suhrkamp Verlag „Meine Preise“ erschienen. „Erstausgabe aus dem Nachlass“, wie auf dem Einband steht. Zwanzig Jahre nach seinem durch eine schwere Lungenkrankheit bedingten, frühen Tod, hat Bernhards Hausverlag ein mit 144 Seiten recht schmales, dabei aber äußerst kraftvolles Werk auf den Markt gebracht. Für jeden Bernhard-Verehrer ein großes Geschenk. Für jeden Bernhard-Neuling der perfekte Einstieg. Am Donnerstag war in der Villa Quandt bei einem Thomas-Bernhard-Abend der große Staatsbeschimpfer mit „Meine Preise“ in Höchstform zu erleben.
Der Schauspieler Moritz Führmann las aus diesem Buch, in dem Bernhard wutentbrannt Rückschau auf die, in seinen Augen, Torturen bei verschiedenen Literaturpreisverleihungen hält. Mit Hingabe sprach Führmann seinen Bernhard, ließ ihn toben und lamentieren, dass es eine Freude war. Und die über 70 Gäste hätten wohl kaum etwas dagegen gehabt, wenn er das ganze Buch gelesen hätte.
Auch dem folgenden Gespräch zwischen dem Lektor von Thomas Bernhard, Raimund Fellinger, Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro und Carsten Wist vom gleichnamigen Literaturladen hätte man gern noch länger zugehört und sich gewünscht, dass dieser Thomas-Bernhard-Abend eine Nacht gewesen wäre. Mit Lust und Empathie sprach Fellinger von Bernhard, den er 1979 kennen lernt und bis zu dessen Tod als Lektor betreute. Wie er Mitte der 60er Jahre als Jugendlicher über Peter Handke und Thomas Bernhard die Literatur für sich entdeckte und später in den Suhrkamp Verlag und dort bald sowohl Bernhard als auch Handke betreute.
Es bedurfte keiner Nachfrage, was einen zu einem guten Lektor macht. Fellingers Art zu reden, den Zuhörern mit Leichtigkeit seine Leidenschaft für die Literatur spüren zu lassen, waren Antwort genug. Der große Grantler Bernhard war ihm, den er als „diesen Handke-Lektor“ bezeichnete, immer korrekt und mit ausgesuchter Höflichkeit begegnet. Und all die Inszenierung des Schriftstellers, auf die man noch heute schnell reinfallen kann, amüsieren Fellinger nur. Und auch die Fragen nach dem Privatmensch finden wenig Interesse bei ihm. Was an Bernhard zu interessieren hat, ist sein literarisches Werk. Was das betrifft, brachte Fellinger gute Nachrichten mit nach Potsdam.
In Kürze wird der Briefwechsel zwischen Bernhard und dem Verleger Siegfried Unseld erscheinen. Und aus dem Nachlass ist, so Fellinger, wohl noch mit einem abgeschlossenem Werk zu rechnen. Dirk Becker
Dirk Becker
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