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Kultur: Botschafter für Menschlichkeit Steven T. Wax sprach

im Einstein-Forum

Stand:

Die Vorstellung erscheint vollkommen absurd: Auf Guantánamo hat man Gefangene wie Hunde am Boden angekettet. Viel zu lange war das Realität. Steven T. Wax, staatlich bestellter Pflichtverteidiger aus Oregon, weiß davon zu berichten. Seine erschütternden Erlebnisse, die ihn im März 2006 als Pflichtverteidiger auf die im Karibik gelegene Insel führten, wo amerikanische Strafgefangene in vollkommener Isolation vom Rest der Welt gehalten wurden, hat er in dem aufwühlenden Buch „Kafka in Amerika. Wie der Krieg gegen den Terror Bürgerrechte bedroht“ nachgezeichnet (die PNN berichteten). Am Mittwochabend war der Anwalt und Verfassungsrechtler Gast im Einstein Forum, wo er die Hintergründe seines spektakulären Buches offenlegte.

Eloquent und packend in der Darstellung dessen, was er als Pflichtverteidiger zu sehen und zu hören bekam, gelingt es Wax, seine Zuhörer vom ersten bis zum letzten Satz seiner Rede in den Bann zu schlagen. Dieser Mann brennt! Brennt für die Ideale jenes Staatengebildes, dem er sich als US-Bürger unmittelbar verpflichtet fühlt. Obwohl er als Pflichtverteidiger über Jahre mit dem Leid unschuldig Inhaftierter konfrontiert war, obwohl er aus erster Quelle Einblick erhielt in die Verstöße gegen die Menschenrechte im Kreuzzug der amerikanischen Regierung gegen den Terror, hat er den Glauben an sie nicht verloren. Steven T. Wax ist einer, der sich nicht wegduckt. Gleichzeitig begegnet er seinen Mandanten auf Augenhöhe. Hier liegt sein Weg.

Durch diesen direkten Zugang – Wax spricht von Instinkt – stand für ihn sehr bald außer Frage, dass die ihm überantworteten Angeklagten Brandon Mayfield und Adel Hamad, um deren Fälle das Buch kreist, zu Unrecht als Hochverdächtige des anti-amerikanischen Terrors inhaftiert worden waren. Nach den Bombenattentaten von Madrid am 11. März 2004 galt der zum Islam übergetretenen US-Bürger und Anwalt Mayfield wegen eines ihm zugeordneten Fingerabdrucks auf einer Plastiktüte, die man nahe vom Unglücksort fand, als Verdächtiger. Die Willkür, mit denen das FBI die Mayfields und ihre Privatsphäre systematisch ausspionierte, bevor es sang- und klanglos zur Festnahme von Mayfield kam, ist nur ein Beispiel unter vielen, mit denen die amerikanische Regierung nach dem 11. September zur Bekämpfung des Terrors skrupellos ihres Amtes waltete. Zudem nahm die zu Präsident Bushs Zeiten auf der Tagesordnung stehende Willkür und Skrupellosigkeit im Anti-Terror-Kampf besonders unerbittliche Formen an, wenn dunkelhäutige Muslime in den Fokus des FBI gerieten. Das Schicksal des unschuldig inhaftierten Sudanesen Adel Hamad, dessen Freilassung Wax nach weit mehr als fünf Jahren aus Guantánamo mit Hilfe engagierter Unterstützung erkämpfte, ist ein tragisches Beispiel dafür.

Am Ende seines einstündigen Berichts formuliert Wax eine These, die Guantánamo im Kern berührt: Das Trauma des 11. September entwickelte sich rasch zum Nährboden von Panikmache und allgegenwärtiger Angst. In dem Bestreben, das bis dahin uneinnehmbare Bollwerk demokratischer Werte mit allen Mitteln zu schützen und zu verteidigen, vergriff sich die Regierung Bush an den eigenen, per Verfassung verbrieften Menschenrechten. Diese Entgleisung, ja Schizophrenie entwickelte eine eigene unheilvolle Dynamik. Guantánamo steht dafür bis heute als Symbol. Das bei seinem Regierungsantritt vor gut einem Jahr gegebene Versprechen Barack Obamas, diesen unheilvollen Ort für immer zu schließen, lässt sich indes bis zum heutigen Tag nicht einlösen. Zu verworren die einander im Weg stehenden gegensätzlichen Haltungen von Regierung und Opposition, die dazu führen, dass man die Gefangenen von Guantánamo nicht aufs amerikanische Festland lässt. Die Frage, die sich daher unverändert stellt: Wo also sollen die noch verbleibenden Gefangenen hin? Gibt es doch eine Menge unter ihnen, denen bei Auslieferung in ihr Land Folter und Schlimmeres droht. Guantánamo ist ein gordischer Knoten, den zu durchschlagen es gemeinsame Anstrengungen braucht. Steven T. Wax, der mit seinem Buch und Vorträgen zum Botschafter für mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit wird, versäumt es am Ende eines angeregten Publikumsgesprächs nicht, den Ball noch einmal geschickt zurückzuspielen. „Helft uns, dieses Symbol loszuwerden!“ Ein Weg, so Wax, wäre unschuldige Gefangene, für die es keine Rückkehr in ihr Land mehr gibt, aufzunehmen: aus Idealismus und Menschlichkeit. Almut Andreae

Steven T. Wax: Kafka in Amerika. Wie der Krieg gegen den Terror Bürgerrechte bedroht. Hamburger Edition 2009, 496 Seiten, gebunden, 29,90 Euro

Almut Andreae

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