Von Carsten Hinrichs: Brandauer zaubert
Lesung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ zu Mendelssohns Musik
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Am Mittsommerabend des Jahres 2009, in dem Felix Mendelssohn Bartholdy seinen 200. Geburtstag gefeiert hätte, übernehmen Elfen den Potsdamer Nikolaisaal. Doch nicht etwa von der blasierten Edelsorte, die in der Verfilmung von J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“ kürzlich Berühmtheit erlangten, sondern die handfesten Kollegen aus dem 16. Jahrhundert. Und Klaus Maria Brandauer hat sich vorgenommen, in der Stadt, die 1843 die Uraufführung von Mendelssohns Bühnenmusik zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ erlebte, ein schauspielerisches Kunststück zu wagen: In einer Lesung mit Musik wird der Burgschauspieler alle Rollen des Theaterstücks in einer Person verkörpern. Na, wenn das mal nicht an Zauberei grenzt.
Und worum geht es überhaupt? Shakespeares Komödie, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Romantikern ins Deutsche übersetzt wurde, löste mit ihrer Fülle von Einfällen eine wahre Shakespeare-Manie aus. Schlicht gesagt geht es um Liebe in all ihren Formen. Vier Jugendliche sind auf der Flucht in einen Wald geraten. Zwei junge Männer lieben dieselbe Frau, eine zweite Frau geht leer aus. Doch auch im Reich der Elfen, die hier den Ton angeben, hängt der Haussegen schief. Oberon und Titania haben sich um eines hübschen Pagen willen zerstritten, so dass jetzt Schnee auf Blüten liegt und Fehlgeburten bei Rind und Pferd die Folge sind. Heute würde man so etwas auf die Klimaerwärmung schieben. Oberon greift zu bewusstseinsverändernden Substanzen, um seine Titania zum Einlenken zu bewegen: Mit Pflanzensaft beträufelt, verliebt sie sich erwachend in einen Eselskopf, den ihr königlicher Gatte einem dahergelaufenen Handwerker aufgesetzt hat - wie gesagt: Die Liebe in wirklich all ihren Formen. Mit dem Rest der Blüte stiftet Oberons rechte Hand, der derbe Waldgeist Puck, Verwirrung in den Herzen der jungen Leute. Alle Konstellationen werden durchgespielt, bis zum Schluss die Sonne dem Spuk ein Ende bereitet und Vernunft einkehren lässt. Da sind aus den Teenagern vier Erwachsene geworden, in diesem Märchen von der Liebe.
Den mit 17 Jahren selbst noch sehr jungen Mendelssohn inspiriert dieses kunterbunte Stück aus Verwechslungen, Zaubereien und Liebesleid in seiner Ouvertüre zu allerlei genialischen Einfällen: Man hört den stampfend ungelenken Tanz der Handwerker, durchsetzt mit dem gellenden Eselsschrei Zettels in den Violinen, den Prunk der Athener Hochzeit und natürlich das Flirren und Flattern der Waldgeister, das immer die wehmütig ruhenden Akkorde der Einleitung kontrastiert. Doch die Musik ist immer mehr als die Summe ihrer Teile, sie vermag den zugleich unheimlichen wie wohligen Zauber des Mittsommers zwischen den Zeilen einzuweben - wie einen nächtlichen Duft, der mit Unruhe und zielloser Sehnsucht erfüllt. Die komplette Bühnenmusik, die neben der schwebend flirrenden Ouvertüre auch den berühmten Hochzeitsmarsch und vieles andere mehr bereithält, wird im Nikolaisaal vom GrauSchumacher Piano Duo in der virtuosen Fassung für Klavier zu vier Händen gemeistert.
Gemeinsam kommentieren und begleiten die zwei Herren Brandauers Gestaltungskunst mit einem Wechselbad an Stimmungen und melodischen Einfällen. Und wenn das Kunststück gelingt, sich die Rollen im Ohr des Hörers zur Komödie entfalten und mit der Musik eine magische Verbindung eingehen, dann erfüllt sich eine weitere romantische Sehnsucht – nämlich diejenige nach dem Zauber, der in allen Dingen steckt und nur darauf wartet, geweckt zu werden.
21. Juni, Großer Saal: Klaus Maria Brandauer
Carsten Hinrichs
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