Kultur: Brillant nuanciert
Weltbekannter Geiger Christian Tetzlaff bescherte dem Nikolaisaal ein ausverkauftes Haus
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Weltbekannter Geiger Christian Tetzlaff bescherte dem Nikolaisaal ein ausverkauftes Haus „Ich kann Mozart nicht gerecht beurteilen. Ich brauche nur irgendwie lebhaft an seine schönsten Werke erinnert zu werden, schon kommt mir jeder andere wie ein sentimentaler, hysterischer Pfuscher vor,“ schrieb Georg Bernard Shaw, der jahrelang als Musikkritiker in London sein Brot verdiente, in schöner Offenheit. Anders gesagt: Entweder man liebt Mozarts Musik oder nicht. Das heißt zwar nicht, dass es ausreicht Mozart zu spielen, um zu überzeugen. Doch ein gewisser Mozart-Bonus spielt auch heute bei den Musikern und bei den Hörern eine Rolle. Oder auch nicht. Die Ankündigung des Violinkonzerts G-Dur KV 216 mit dem international hoch geschätzten Geiger Christian Tetzlaff als Solisten und der Kammerakademie Potsdam hatte dem Nikolaisaal ein ausverkauftes Haus beschert. Dazu erklangen Mozarts Serenade B-Dur „Gran Partita“ KV 361 sowie – einen reizvollen Kontrast versprechend – Igor Strawinskys Concerto in Re für Streichorchester. Unbekümmerte Spielfreude und heitere Unterhaltung verbreiteten die kammerakademischen Bläser in der Serenade B-Dur. Das mit fast sechzig Minuten ungewöhnliche lange Werk zeigt erstaunlichen kompositorischen Einfallsreichtum. Zwölf Holzbläser und ein Kontrabass ließ Mozart vielschichtig um die Wette sprudeln und zupfen. Die Kammerakademie Potsdam gab ihr Bestes, um die traditionelle Gattung in die Gegenwart zu transportieren. Mit Ernst sind alle bei der Sache, bringen auf Oboen und Klarinetten, Hörnern und Bassethörnern abwechslungsreiche Klänge hervor. Gegen Ende wurde die starke Beanspruchung schon bemerkbar, insgesamt gelang eine hörenswerte Wiedergabe unter der Leitung von Sergio Azzolini. Menuett I und II klang etwas statisch im Gestus, das zweite Trio im ausgelassenen Ländler-Rhythmus, die Romanze effektvoll durchgearbeitet. Zauberhaften Geigengesang verströmte der Solist Christian Tetzlaff. Es gelang ihm Mozarts Violinkonzert G-Dur, das längst ein Klassiker, ein Hit der Klassikwellen geworden ist, frisch, blitzsauber und brillant zu nuancieren. Christian Tetzlaffs beherzter Zugriff, energischer Bogenstrich und seine kontrollierte Expressivität ließen keinerlei Anklänge an mögliche Routine aufkommen. Knapp und gedrängt im ersten Satz, mit ausdrucksvoller Intonation im Adagio und animierten Zigeuner-Tönen im dritten Satz versetzten diesen Mozart kongenial in unsere Zeit. Das gab begeisterte Ovationen für den herausragenden Geiger, der sich mit der königlichen Wiedergabe des Rondos C-Dur KV 373 bedankte. Die Kammerakademie Potsdam begleitete mit ungewohnt kompaktem Klang, relativ wuchtig und gelegentlich zu stark auftrumpfend. Insbesondere der zweite Satz Adagio litt unter zu forschem Tempo, heftigen Crescendi und herben Basseinsätzen. Es fehlte einiges an zart pulsierender Innigkeit, die diesem Satz so viel Reiz verleihen kann. Fast ist man geneigt zu sagen, dass für einen homogeneren Zusammenklang die übergeordnete Hand eines Dirigenten sinnvoll gewesen wäre. Dennoch: Mozart wird sicher auch im 21. Jahrhundert noch viel geliebt bleiben. Eine perfekte Überraschung gelang mit dem Concerto in Re von Igor Strawinsky für Streichorchester. Mit Peter Rainer als Konzertmeister fegte das kleine Stück nur so durch den Konzertsaal und brachte viel frischen Wind hinein. Ganz nebenbei zeigte sich die verzeihliche Übertreibung von George Shaws mozartverliebter Aussage. Überaus straff, federnd und spritzig, aus einem Guss erklang das neoklassizistische Kabinettstück der Musik. Spielerisch und markant durchgearbeitet bis in feinste Details und zugleich mit einer Vielfalt von Streicherklängen aufwartend, hielt die Kammerakademie Potsdam ihre Zuhörer bis zur letzten Note in Atem. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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