Kultur: Brio-Schwelgen
Krzysztof Penderecki beim Sinfoniekonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters
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Krzysztof Penderecki beim Sinfoniekonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters Von Peter Buske „Musik ist für mich nur Struktur“, bekennt der berühmte polnische Komponist Krzysztof Penderecki im Gespräch mit Ulrike Liedtke, „da steht nichts Außermusikalisches dahinter.“ Vor Beginn des 7. Sinfoniekonzerts mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt, in dem des Meisters 2. Violinkonzert „Metamorphosen“ erklingen wird, versucht die Chefin der Rheinsberger Musikakademie den neoromantischen Neutöner coram publico zur Preisgabe kompositorischer Geheimnisse zu veranlassen. Es misslingt ihr. Freundlich, aber sehr allgemein beantwortet Penderecki die Fragen zu diesem Opus, das er 1995 beendete und der Geigerin Anne-Sophie Mutter widmete, die es auch im Leipziger Gewandhausorchester uraufführte. Im Verlauf der viertelstündigen Einführung erfahren wir, die wir im fast ausverkauften Nikolaisaal erwartungsfroh sitzen, dass das einsätzige Konzert eigentlich aus drei Teilen bestehe, wobei der mittlere (Vivace) siebenfache Episoden bereithalte. Zu jedem Teilabschnitt gibt es Erläuterungen, dann folgt ein passendes Klangbeispiel durch die mitwirkenden Künstler. Zum finalen Klagegesang fällt Penderecki nur ein, dass „langsame Musik schwieriger zu schreiben ist als schnelle“. Man hätte es kaum gedacht. Nachdem das Konzert sozusagen im Schnelldurchgang für Bildungsbeflissene erklungen ist, wird es ernst. Noch einmal stimmt das Staatsorchester die Instrumente, kommen Dirigent Tadeusz Wojchiechowski und Solist Julian Rachlin erneut auf das Podium, nachdem sie es nach der Darreichung der Klanghäppchen verlassen hatten. So wie man vom Arzt beim Begutachten des Rachenraumes zum „a“-Sagen aufgefordert wird, eröffnet Penderecki sein Violinkonzert Nr. 2 mit ebendieser (vierfachen) Tonfolge. Daraus erwächst ein Passacaglia-Thema. Es wird mehrmals wiederholt, durchschreitet einen Klangraum von vier Oktaven, aus dem sich der Gesang der Solovioline fast unmerklich herausschält. Auf seinem Instrument, einer Guarneri del Gesù (1741), singt sich Julian Rachlin klangbetörend in die Höhe – als schwebe er einem Engel gleich in den Himmel. Doch es bleibt irdisch, denn nun heben die Metamorphosen an. Das Orchester zeigt sich dabei von seiner vorzüglichsten Seite. Es produziert einen vollmundigen Klang, badet in neoromantischen Gefühlen, meistert die rhythmisch vertrackten Passagen exzellent, spielt präzise zusammen. Motorische Unisono-Passagen eröffnen den vielgliedrigen Vivace-Teil. Ausladend-rauschhafter Tongebung von Solovioline und Orchester folgt die dynamische Zurücknahme und die Rückbesinnung auf liebliche Melodien. Das ist ein flöten und geigen wie man sich''s kaum zu erhoffen wagte. Der aussagebewusste Dirigent lässt ein Kaleidoskop schillerndster Klanggestalten folgen. Einem eindringlichen Lamentosogesang folgen Episoden schmerzlich-schöner Erregung gleich fiebrigen Zustandsbeschreibungen. Dann ist die Springbogentechnik von Julian Rachlin gefordert, der mühelos eine kapriziöse Melange aus Paganini und Schostakowitsch meistert. Die pure Lebensfreude, die dem Hörer aus diesem sarkastisch angelegten Scherzo entgegenspringt. Nach einem Schlagwerkfinish hebt der klanggesättigte Klagegesang der Violine an, grundiert von grummelnden Kontrabässen. Eine Abschiedsmusik voller ergreifender Momente und altersweiser Erkenntnisse. Die Musiker erspielen sich, dem Werk – das eben nicht nur Struktur ist – und seinem Komponisten einen heftig applaudierten Erfolg. Diesem abgeklärten Werk nach der Pause die aussageähnliche 6. Sinfonie „Pathetique“ von Peter Tschaikowski folgen zu lassen, erweist sich als logische Fortsetzung slawischer Seelenergründungen. Dass die Frankfurter Musiker trotz zahlreicher Ausflüge in Barockwelten und das Reich der Wiener Klassik ihr Metier zu meistern nicht verlernt haben, führen sie mit romantischer Inbrunst geradezu exemplarisch vor. Des Dirigenten asketische Erscheinung steht dazu in reizvollem Sehkontrast. Auch hörend lässt er nichts „anbrennen“. In seiner ausdrucksberstenden Lesart steht konfliktreiches Wühlen im Vordergrund. Spannend lässt er der tempobreiten, jedoch klangschlank gehaltenen Adagio-Einleitung ein leidenschaftsbewegtes, aber seelenanalytisch durchforschtes Allegro hervorbrechen. Man musiziert Gefühl, schwelgt mit Brio, aber ohne Bibber. Wahrlich con grazia tanzt walzerbeschwingt der zweite Satz vorüber. Lebenssinnliche Scherzo-Fröhlichkeit durchzieht den dritten Satz, der sich dank des schier hemmungslosen Spieleinsatzes der Musiker in geradezu klangbarbarische Ekstase steigert. Die Akustik des Nikolaisaals und die Ohren sind darauf gut vorbereitet, denn zuvor ging es auch leise zu. Vorlaute Klatscher im Publikum, die die Verzückungseruptionen bejubeln, stören die Stimmungsdramaturgie der Sinfonie gewaltig. Dadurch verliert der Finalsatz (Adagio lamentoso) viel von seiner Kontrastwirkung. Über die Etappen von Aufbäumen und Resignieren, seelenpeinigender Erschütterung und Depression geht es ins düster ausklingende Nichts. Eine eindringliche, begeistert aufgenommene Wiedergabe.
Peter Buske
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