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Von laut zu leise. Anathema um Sänger Vincent Cavanagh.

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Kultur: Brüder der herzblutenden Melancholie

Als Vincent Cavanagh zuletzt im Juli eine deutsche Bühne betrat, war es drei Uhr nachts. Der 36-jährige Brite grinste breit, obwohl die Situation schwierig schien: Nach drei Tagen Festival sollten Anathema als letzte Band auf dem With Full Force-Open Air bei Leipzig spielen, dem größten Heavy Metal-Treffen in Ostdeutschland mit bis zu 30 000 Besuchern.

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Als Vincent Cavanagh zuletzt im Juli eine deutsche Bühne betrat, war es drei Uhr nachts. Der 36-jährige Brite grinste breit, obwohl die Situation schwierig schien: Nach drei Tagen Festival sollten Anathema als letzte Band auf dem With Full Force-Open Air bei Leipzig spielen, dem größten Heavy Metal-Treffen in Ostdeutschland mit bis zu 30 000 Besuchern. Nicht nur die Uhrzeit, auch die Musik von Anathema machten es nicht leicht, haben sich die Engländer doch schon vor Jahren vom düster-schweren Doom-Sound ihrer Anfangstage hin zu atmosphärischem Alternativrock verabschiedet – und das gilt in der Metal-Szene als Verrat an Grundsätzen. Umso erfreulicher für die fünf Liverpooler und ihre neue Gastsängerin Lee Douglas, dass sie dennoch gefeiert wurden wie Könige. Am heutigen Freitag versuchen Anathema ihr Glück im Waschhaus.

Wenn sich das Publikum dort nur ein wenig offen zeigt für experimentelles Spiel und Emotionalität, dürfte ein mitreißender Abend garantiert sein. Anathema stehen für akustische Sphären, an denen auch schon Pink Floyd ihren Spaß hatten, für Melancholie, aber auch für kraftvolle Passagen. Angefangen haben die Musiker 1990 als reine Doom Metal-Band: Langsames Schlagzeug, tief gestimmte Gitarren, bittere Atmosphäre, aber auch mit Scheuklappen gegenüber anderen Genres. Das änderte sich spätestens mit dem neuen Jahrtausend: Mehr Melodien, mehr Keyboards, mehr Experimente. Und dazu eine Stimme, die nicht mehr brüllte, sondern klar und ergreifend klagen, sogar auch schmeicheln konnte.

Doch sind sich Vincent Cavanagh und seine bei Anathema spielenden Brüder Jamie und Vincent zumindest so treu geblieben, dass sie nie gänzlich in den Pop-Bereich wechselten. Aber dieses Beharren auf den eigenen Stil brachte auch Nachteile, 2003 lief ihr Plattenvertrag aus. Seitdem sind Anathema eine der Bands, die das Musik-Business bewusst ignorieren, CDs und T-Shirts über das Internet verkaufen und bei der die Musiker ihre Touren selbst organisieren.

Im August vergangenen Jahres erschien ihr Album „Hindsight“, auf dem sie Lieder aus der langen Bandgeschichte neu arrangiert präsentieren. Instrumente wie Akustikgitarre, Klavier und sogar Cello sind hinzugekommen. Anathema haben sich noch einmal gewandelt, klingen aber melancholisch wie eh und je. Trotzdem und vielleicht auch gerade deshalb werden die Musiker von Anathema selbst in der oft engstirnigen Metal-Szene noch geachtet – und von ihren treuen Fans sogar inniglich verehrt. Henri Kramer

Anathema spielen am heutigen Freitag, 21 Uhr, im Waschhaus, Schiffbauergasse. Im Vorprogramm werden Leafblade erwartet. Der Eintritt an der Abendkasse kostet 19 Euro

Henri KramerD

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