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Ein Buch genießen, unabhängig vom Inhalt. Rainer Ehrts Interpretationen zu Ovids „Metamorphosen“.

©  Ehrt

Kultur: Buchkünstlerische Verwandlungen

Rainer Ehrt stellt auf der Leipziger Buchmesse sein Künstlerbuch-Unikat von Ovid vor

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Ein Buch bewusst erleben, genießen, unabhängig vom Inhalt, als ein Kunstwerk, das ist eine seltene Erfahrung. Für den, der historische Handschriften oder kunstvoll illustrierte Bücher in Archiven nutzen kann. Für den, der Ausstellungen besucht und seltene Werke nur hinter Vitrinenglas betrachten darf. Oder für den, der das Atelier von Rainer Ehrt besucht.

Wer Ehrts Atelier in der Kleinmachnower Ernst-Thälmann-Straße betritt – ein kleiner Weg führt vom Wohnhaus vorbei an hohen Kiefern hin zu dem Flachbau auf dem hinteren Teil des Grundstücks –, der betritt ein kleines Reich, in dem dieses fast schon liebevolle Künstlerchaos herrscht. Papier stapelt sich, unzählige Farben, Pinsel und Stifte, Bilder, Grafiken, daneben zahlreiche Bücher und CDs. Was Ehrt mit einer Handbewegung zur Decke und dem Satz: „Ich habe schon überlegt, ob ich ein Stockwerk draufsetzte“ entschuldigt, wirkt auf den Besucher einfach nur faszinierend. Dieser Ort, an dem Kunst entsteht. Bilder und Grafiken, Zeichnungen und Illustrationen. Und auch Bücher.

Das Buch als Massenware, so präsentiert es sich auf der Leipziger Buchmessen, dessen Messehallen sich vom heutigen Donnerstag an bis Sonntag öffnen. An die 20 000 Neuerscheinungen sollen hier vorgestellt werden, an mehr als 1000 Einzelständen, präsentiert von 2071 Verlagen aus 44 Ländern. Rainer Ehrt ist auch dabei. In der Halle 3, bei der „buch+art“, Stand E 551. Ehrt wird zeigen, dass ein Buch ein Kunstwerk sein kann. Etwas zum Genießen, ganz unabhängig vom Inhalt. „Erstmals präsentiert: Künstlerbuch-Unikat: Ovid. Die Metamorphosen 124 Seiten deutsch/lateinisch gezeichnete Schrift mit 30 ganz- und doppelseitigen Tuschezeichnungen, Leder-Handeinband von Rita Lass, Halle“, steht auf dem Plakat, das Ehrt für die Buchmesse entworfen hat.

In einem Gespräch über seine Ausstellung „Friedrich, reloaded“ in Potsdam und die Wiederauflage seines Buches „Preußischer Bilderbogen“ Anfang Januar, als die Festivitäten zum 300. Geburtstagsjubiläum des Preußenkönigs Friedrich II. ihrem ersten Kollaps entgegentaumelten, hatte Ehrt die Arbeit an dem Ovid-Buch erwähnt. Und ungläubig hatte man zurückgefragt: „Die Metamorphosen? Handschriftlich?“

Das Handschriftliche bejahte Ehrt wie selbstverständlich. Und fügte hinzu, dass er natürlich nicht die kompletten 15 „Bücher der Verwandlungen“ von je etwa 700 bis 900 Versen des römischen Dichters Publius Ovidius Naso, kurz Ovid, für sein Künstlerbuch abschreiben würde. Rainer Ehrt hatte sich für ausgewählte Kapitel entschieden. Ein leichter Unglauben blieb, der noch verstärkt wurde, als Ehrt sagte, dass dies keine Auftragsarbeit sei, dass er das mache, weil er es machen wollte, machen musste. Für sich und sein Künstlerverständnis. Er versprach, sich zu melden, wenn er damit fertig sei, damit man ihn in seinem Atelier besuchen kann, bevor die Blätter zum Binden nach Halle zu Rita Lass geschickt würden.

Auf einer großen, von zahlreichen, unterschiedlichen Papieren bedeckten Arbeitsfläche hat Rainer Ehrt Platz geschaffen und die fertigen Seiten seiner „Metamorphosen“ ausgebreitet. Und von dem Moment an, wo man diese Seiten betrachtet, sie berührt und fast schon übervorsichtig umblättert, wird einem schlagartig klar, warum Rainer Ehrt das machen wollte, machen musste. Dazu muss man nicht selbst Künstler sein und es ließe sich auch nicht erklären, warum man das nun versteht. Es genügt das Eintauchen in die Ehrtsche Buchkunstwelt, um jegliche Zweifel und Fragen zu tilgen.

Auf präpariertem Büttenpapier hat Rainer Ehrt mit roter und schwarzer Tusche geschrieben. Tusche, die er selbst hergestellt hat, unter anderem aus dunklem Ocker und Rötel. Dazu hat er dann Ochsengalle gegeben, damit die Tusche beim Schreiben und Zeichen besser fließt. Ochsengalle? Das klingt ja fast schon nach Alchimisten- oder Hexenküche. Rainer Ehrt lächelt und sagt, dass es sich dabei nur um künstliche Ochsengalle handelt und zeigt auf die Schrift, die sich von der ersten Seite an verändert hat. Anfangs noch etwas größer, weiträumiger, wird die Schrift dann immer akkurater, fast streng. Das Thema der Metamorphosen, bei Rainer Ehrt findet es sich selbst in der Schrift. Die ausgewählten antiken Mythen unter anderem von Perseus und Narziss, von Apollo und Daphne, hat er mit Zeichnungen umrahmt. Seine freien Interpretationen dieser Mythen, wie Ehrt sagt.

Vier Monate lang hat er an seinen „Metamorphosen“ gearbeitet, fast jeden Tag. Man hört Rainer Ehrt zu, wie er davon erzählt, blättert dabei immer wieder die einzelnen Seiten und muss sich zügeln, dieses so kunstvoll verzierte Papier, dieses Buch in Einzelteilen nicht zu streicheln. Dann holt Rainer Ehrt frühere Werke hervor. Die Baal–Monologe von Brecht in einem wild-wahnsinnigen Farbrausch, für die er 2007 den Brandenburgischen Kunstpreis erhielt, Kleists „Penthesilea“ aus dem Jahr 2010 oder eines seiner Sudelbücher, die er seit 1993 jedes Jahr in einer Auflage von 30 bis 40 Exemplaren produziert. Man genießt das Privileg, diese Buchkunst so nah erfahren zu dürfen. Und es beruhigt zu wissen, dass da einer auf der Leipziger Buchmesse zwischen all den Ständen und all den Neuerscheinungen ist, der mehr bietet als nur das Buch, wie wir es massenhaft kennen.

Weitere Informationen im Internet unter www.edition-ehrt.de

Dirk Becker

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