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Von Dirk Becker: Bugge Wesseltofts Klanguniversum Jazz zur Wiedereröffnung des Waschhauses

Drei Töne nur, die aber immer wieder. Taaa ta ta, taaa ta ta, taaa ta ta.

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Drei Töne nur, die aber immer wieder. Taaa ta ta, taaa ta ta, taaa ta ta. Auf dem Klavier gespielt, klingen sie ganz weich. Wie sie Bugge Wesseltoft mit seiner Hand aus den Tasten formt, wirkt ihr Rhythmus fast fühlbar. Mal reiben sich diese Töne aneinander, mal stoßen sie sich ab. Wesseltoft lauscht ihnen nach, scheint sie förmlich einzuatmen und immer wieder aus dem Klavier auszustoßen, bis auch der Letzte im fast ausverkauften Waschhaus den Rhythmus dieser drei Töne zu seinem eigenen Pulsschlag gemacht hat.

Dann schafft Wesseltoft neues Klangleben, lässt in die scheinbar perfekte Dreierordnung einen vierten, dann noch einen fünften Ton springen. Der musikalische Einzeller teilt sich und nimmt neue, komplexe Formen an. Wesseltoft ist der Hexenmeister, der diesen Entstehungsprozess im Zaum zu halten versucht. Wohin diese musikalische Evolution führen wird, das scheint er selbst nicht genau zu wissen. Aber egal, die Reise ist nicht mehr aufzuhalten und wird manch faszinierende, aber auch schaurige Tonkreaturen schaffen. Willkommen im Universum von Bugge Wesseltoft!

Der Aufritt des norwegischen Pianisten und Klangweltenerschaffers Bugge Wesseltoft am Samstag im Rahmen des Potsdamer Jazzfestivals war gleichzeitig das erste Konzert im sanierten und nach den bekannten Schwierigkeiten doch noch wieder eröffneten Waschhaus. Ein unaufgeregter und gleichzeitig faszinierender, gelegentlich verstörender Auftritt, der in seinen melancholischen Momenten ein wenig auch die Ungewissheit über die Zukunft dieses Ortes aufnahm.

Fast jedes Lied von Wesseltoft, wenn man diese ausschweifenden zeitlosen und nicht selten in alle Richtungen wuchernden Klanggebilde denn als Lieder bezeichnen will, begann mit einem Fragezeichen. Tonfolgen der Ungewissheit, die Wesseltoft zum Atem holen nutzte, bevor er sich auf das schweißtreibende Erschaffen seiner Musikwelten einließ. Ein paar Töne, die der Wiederholungstäter Wesseltoft aus dem Klavier oder aus dem Laptop holte und in eine Endlosschleife legte. Eine Akkordfolge oder Gesangsfetzen, ein Klatschen oder haarsträubend verzerrte Töne folgten, die der 44-Jährige in seine Klanggebilde warf. In diesem knarrenden, brummenden, dröhnenden und gelegentlich überkochenden Elektrogebräu war das Klavier oft der Sonnenschein über einer fremden und rätselhaften Welt. Strahlendes Moll als Hoffnungsschimmer. An der Wand hinter der Bühne Computeranimationen oder Wesseltofts gefilmtes Agieren auf der Bühne in verfremdeter Form.

Oft sah man Wesseltoft oben auf der Bühne zwischen Klavier und seinen elektronischen Spielereien, getrieben vom musikalischen Rhythmus, hin und herspringen wie einen Kobold mit diebischer Freude an seinem Machwerk.

Einmal an diesem Abend entlockte er seinen Geräten Töne, die klanglichen Horror in sich trugen und ein regelrechter Bruch im sonst so melodieverliebten Spiel des Norwegers bedeuteten. Da zeigte Wesseltoft seine dunkle Seite und gab sich kongenial in der Doppelgängerrolle von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Am Ende viel Applaus für die anderthalbstündige Bewusstseinserweiterung dieses musikalischen Kreuz- und Querdenkers und seine „new conception of jazz“.

Dirk Becker

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