Kultur: Bürgerkrieg auf dem Familienplaneten
Eltern, Kinder, Katastrophen. Uwe Wittstock war im Literaturladen Wist zu Gast
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Eltern, Kinder, Katastrophen. Uwe Wittstock war im Literaturladen Wist zu Gast Wenn im Haus mit schriller Stimme „Heho! Spannt den Wagen an, seht, der Wind treibt Regen übers Land“ gesungen wird, „bis es im Hirn rotiert“, wenn das Zimmer aufgeräumt werden soll und die Antwort „Kann nicht, Alter“ heißt, und wenn einem diese rutschigen kleinen Legosteine auf der obersten Treppenstufe geläufig sind, dann befindet man sich auf Uwe Wittstocks „Familienplaneten“. Am Mittwoch nahm der Autor die Gäste des Literaturladens von Carsten Wist auf der Brandenburger Straße mit in seine launige Welt, in der Annette, Lennart, Marten und Nicolas zu Hause sind. Wittstock, von Hause aus seriöser Literaturkritiker erst für die FAZ, nun für die „Welt“ und die „Morgenpost“, hat seine wöchentlich erscheinenden Kolumnen in ein Büchlein gepackt und mit 13 hübschen Illustrationen von Martin Bofinger ausgestattet. Die heiteren Episoden aus dem chaotischen Alltag sollten auch als pädagogisches Werkzeug dienen, so Wittstock. Doch die geschickt von den Eltern aufgebaute Drohkulisse gegenüber den Sprößlingen, das eigene Fehlverhalten würde wenig später in Zeitung veröffentlicht werden, versagte offensichtlich, das Chaos, der Ausnahmezustand hält an und liefert weiteren Stoff, denn "wer drei Söhne hat, weiß, was das Wort Bürgerkrieg bedeutet." Die "häusliche Soldateska" bastelt halt aus harmlosem Toastbrot Waffen, wenn die pazifistischen Eltern mal wieder ein Abrüstungsprogramm durchgeführt haben. Die Botschaft an die anderen Familienplaneten heißt Trost. Auch woanders wird der Vater und Ehemann mit Verachtung gestraft, weil er den Videorecorder nicht programmieren kann. Jeden Familienvorstand muss es schmerzen, den Satz „Wenn das Teil hin ist, zieh ich aus“ aus dem Munde der Kleinen zu hören. Doch so ist Realität, weiß Wittstock, diese bitter-süße. Eine Sammlung von Kolumnen hat immer den Vorteil, den sonst eher verborgenen roten Faden besser erkennen zu können. Wittstocks freilich meist wirkungslosen Erziehungsansätze verraten oft den Literaturkenner. So wie in der Episode, die an Ernst Jünger angelehnt „Im Schallgewitter“ heißt. Sohn Nicolas hört Musik, so laut, „dass selbst die Amsel im Garten blass wird“. Er reißt die Tür auf und informiert brüllend: „Das ist Boom von P.O.D., krasser Song was?“ Als der Papa sich des gleichen Instruments bedienen will, seine Lektüre hochhebt und schreit: „Michael Kohlhaas von Kleist. Krasse Novelle, was?“, ist der Bildungseffekt jedoch geringer als erhofft. Das Werk Peter Handkes taucht in den Minutenstückchen sogar leitmotivisch auf. Wittstock sieht in seinen Familienkolumnen auch eine Art „Erdung“ für seinen täglichen Umgang mit der „großen" Literatur, „Kinder bringen eine Art Außenperspektive", sagte er dem Publikum. Genutzt hat der promovierte Literaturwissenschafter, der u.a. als Herausgeber der Revolutionsstücke von Heiner Müller in Erscheinung getreten ist, diese besondere Kraft, die ihm sein Familienplanet spendet, auch für sein nächstes Buch. Das wird im März erscheinen. Wittstock hat die Biografie von Marcel Reich-Ranicki verfaßt, unter dem er acht Jahre lang in Frankfurt gearbeitet hat. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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