Kultur: Burleskes Treiben
Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam
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Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam Der November hat es in sich. Nebeleinhüllendes nicht nur in der Natur. Auch die Seele lässt manchen leiden: Allerheiligen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag. So als wollte die Kammerakademie Potsdam diesem Gedenken an Verstorbene die frohe Botschaft des Da-Seins entgegensetzen, wird das Angebot ihres Sinfoniekonzerts unter Leitung von Kimbo Ishii-Eto, das dritte innerhalb der Nikolaisaalreihe, von auffallend burleskem Treiben zwischen Feinsinn und Trivialem bestimmt. Was Wunder, steht ihr doch mit dem berühmten Geiger Dmitri Sitkovetsky ein Solist zur Verfügung, der das Virtuose mit gestalterischem Tiefgang zu verbinden versteht. Seinem bestechend klaren Ton voller Wärme und Gefühl, seinem Spiel überraschenden rationalen Raffinements und überschäumenden Temperaments hört man vom ersten Bogeneinsatz an, dass der im aserbaidshanischen Baku Geborene seine Ausbildung in der legendären Geigenschule am Moskauer Konservatorium absolvierte. Von diesem geigerischen Teufelskerl waren auch die Musiker der Kammerakademie restlos begeistert. Das Publikum sowieso. Es feierte einen Star. Als solches diente er sich dem Violinkonzert Nr. 2 g-Moll op. 63 von Sergej Prokofjew (1891-1953), der es 1935 schrieb, ehe er ein Jahr später wieder in die von ihm einst verlassene Sowjetunion zurückkehrte. Das Konzert eröffnet sich mit einem längeren Solo der Violine, dessen prägnantes Thema sich durch das gesamte Werk zieht. Der unaufhörliche Redefluss des Soloinstruments ist in ein motorisch drängendes, intensives Musizieren des Orchesters eingebettet. So klangvoll und voluminös hörte man die Kammerakademie seit langem nicht mehr! Die wunderschöne Sonorität, die sich durch Holzbläser und tiefe Streicher herstellt, erfährt ihre vollendete Ergänzung durch die makellose Intonation des Solisten, die sich auch im aufblühenden Geigengesang des in neoklassizistischer Formgestalt schwelgenden Andantesatzes offenbart. Energiegeladen tobt das finale Allegro vorüber, einem rhythmischen Feuerwerk gleich. Auch die Rhapsodie de concert „Tzigane" von Maurice Ravel (1879-1937) beginnt mit einem Violinsolo, reich gespickt mit fingerbrechenden Eskapaden wie Doppelgriffen, Pizzikati, Bogenartistik. Dabei zeigt sich Sitkovetsky zunächst als melancholischer Zigeunerprimas mit ungebärdigen Floskeln und Schluchzern in der (Geigen-)Stimme, ehe er sich in den pointiert brillanten Dialog mit dem Orchester einlässt. Mit hinreißender Hingabe stürzen sich alle Beteiligten in die raffinierte Instrumentation orgiastischer Tanzeslust. Wie ein melodiöser Ruhefels in neutönerisch aufgewühlter Klangbrandung hört sich die 1947 entstandene Sinfonietta von Francis Poulenc (1899-1963) an. Ununterbrochen strömen die Melodien dahin, mit Leidenschaft, gelöst, ja fast euphorisch, voller Duft, Esprit und Charme gespielt. Den sich unaufhörlich verändernden Klangfarben sind der impulsive Dirigent und die intensiv aufspielenden Kammerakademisten mit Neugier und Hingabe auf der Spur. Die Seele hört entspannt zu.Peter Buske
Peter Buske
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