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Kultur: Burlesque mit Messer und Äpfeln
Zwei Deutschlandpremieren zum Ausklang des Tanzfestivals „Moving Romania“ in der „fabrik“
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Die Augenbinde abzunehmen fühlt sich an wie das Erwachen an einem vertrauten Ort, an den man sich aber plötzlich nicht mehr erinnern kann. Weiße und rötliche Lichtquellen erhellen den dunklen Saal, Rauch liegt in der Luft. Allmählich werden die Schemen der anderen erkennbar. Im Saal der „fabrik“ verteilt sitzen Menschen auf dem Boden oder auf Stuhlgruppen. Einige sind stehen geblieben, trauen sich noch nicht, den schwarzen Stoff von den Augen zu entfernen. Einer von ihnen bemalt das Bein einer nackten Frau mit einem Lippenstift. Er tastet, weiß nicht, was er da tut. Andere blicken sich neugierig um. Dann ein Trappeln und Keuchen. 20 Zentimeter hohe Stilettos, mit Zebrafell bespannt, bohren sich in den Boden, knicken ein, ein Mädchen in rotem Höschen lässt sich auf den Schoss eines Zuschauers fallen. Für einen Moment hält er sie im Arm, bevor sie sich wieder aufrichtet, in die Höhe wächst. Die eben noch Nackte kehrt knapp bekleidet in den Raum zurück. Ihre Silhouette wird im weißen Scheinwerferstrahl bedrohlich, langsam und mit irrem Blick hebt sie ein Messer in die Höhe. Der halbe Saal beobachtet, was der Zuschauer vor ihr nicht sieht, als sie die Klinge auf ihn herabsinken lässt. Szenen aus Nachtclubs und Horrorfilmen wechseln sich ab. Wohligem Theaterschaudern folgt befreites Lachen in dem Stück „Supergabriela“ des rumänischen Choreografen Cosmin Manolescu. Am Wochenende feierte es im Rahmen des Tanzfestivals „Moving Romania“ Deutschlandpremiere, das gut 800 Besucher an vier Tagen in die „fabrik“ gelockt hatte.
Rumänischer Tanz, das wird während den kurzweiligen zweieinhalb Stunden mit „Supergabriela“ und „Dance a playful body“ erfahrbar, hat viel Charme und Humor. Besonders an Stellen und in Stellungen, in denen man es am wenigsten im modernen Tanztheater erwartet. Gerade wenn es sonst peinlich wird, lässt Manolescu die Szene ins Komische kippen: Während die Tänzerin sich splitterfasernackt auf Kunstrasen räkelt, zündet sie sich eine Zigarette an und raucht diese, sich weiter windend, in aller Ruhe zu Ende. Ebenfalls nackt und rauchend posiert Istvan Teglas in „Dance a playful body“. Erst kniet er, röchelnd wie ein aufgetauter Höhlenmensch, auf einer Luftmatratze, dann kokettiert er wie ein Pin-up-Model vor einer weißen Wand. Wenn er dann noch immer nackt im Kopfstand anfängt, „I will be famous“ zu singen, wird die Show zu einer Satire auf das Zurschaustellen von Körpern.
Ein frecher Flirt mit dem Publikum. Hier ist der Zuschauer der Ausgelieferte, der über den Tänzer lachen muss, weil der auf der Bühne es so will. Eine andere Besonderheit des rumänischen Tanztheaters ist das Spiel mit der Stimme: Schreie, Seufzer, Worte, Singen, jeder Laut ist ein Stilmittel, das oft einen komischen Bruch zu dem Bild erzeugt, das der Zuschauer beobachtet. Auch mit direkten Fragen ins Publikum durchdringen die Tänzer bewusst die unsichtbare Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum.
Im rumänischen Tanztheater darf man sich nicht einfach zurücklehnen. In „Supergabriela“ müssen die Zuschauer Mikrofone halten, Reißverschlüsse schließen und eine zitternde Tänzerin festhalten, kein Widerspruch ist möglich. Skurril bleibt das Stück bis in die letzten Bilder. Die beiden Frauen, die sich vorher mit dem Messer gejagt und verflucht haben, tragen einander. Kniend und rutschend müht sich die eine ab, während die andere sich packen lässt und dabei ungerührt in einen Apfel beißt. Undine Zimmer
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