zum Hauptinhalt
Und manchmal hebt er ab. Francesco Tristano und sein Lieblingsspielzeug.

©  Giraudel

Kultur: Buxtehude, Bach und sich selbst

Francesco Tristano ist mit seinem „Klavier 2.0“ im Nikolaisaal zu erleben

Stand:

In New York ist Francesco Tristano an seine Grenzen gestoßen, zumindest musikalisch. In Luxemburg geboren war Francesco Tristano Schlimé, so mit vollem Namen, an die New Yorker Juilliard School gegangen, um bei Bruce Brubaker und Jacob Lateiner zu studieren und Meisterschüler bei der großen Bach-Interpretin Rosalyn Tureck zu werden. Doch die klassische Musik allein reichte dem damals 16-jährigen Pianisten nicht. Als er endlich die Clubs der Stadt besuchen durfte, entdeckte er den Techno für sich. Und das war für ihn nicht nur musikalisch eine neue Welt, sondern auch in dramaturgischer Hinsicht. Dass da vorn am Pult ein DJ stundenlang stand, eine sich stetig verändernde rhythmusorientierte Endlosschleife Musik schuf und damit sein Publikum immer wieder aufs Neue begeistern konnte, faszinierte Tristano. Nicht nur das wollte er verstehen, sondern auch die Technik wie Mixer und Effektgeräte.

Francesco Tristano ist mittlerweile 31 Jahre alt und ein für und wegen seiner Eigenwilligkeit hochgeschätzter Musiker, der ganz selbstverständlich Klassisches mit der Technokunst verbindet. Am morgigen Samstag ist Tristano in der Reihe „Potsdamer Crossover Konzerte“ im Nikolaisaal zu erleben. Ein Abend, der in gewisser Weise auch unbequem werden kann. Unbequem im positiven Sinne. Tristano schert sich wenig um herkömmliche Konzertsituationen und die damit verbundenen Hörerwartungen. Denn Erwartbarkeit impliziert immer auch eine gewisse Form von Bequemlichkeit und im schlimmsten Falle sogar Langeweile. Darum bleibt Tristano überraschend, sucht immer wieder nach neuen Elementen und verbindet bei seinem Konzert die Musik mit visuellen Effekten von Vincent Boudier und Joachim Olaya, die Potsdams Konzertsaal eine ganz eigene Atmosphäre verleihen werden.

„Klavier 2.0“ ist der Abend im Nikolaisaal überschrieben. Ein Konzert mit „Klavier & VisualDesign zwischen Klassik, Eigenkompositionen, Improvisation und Techno“, in dem Tristano einen Querschnitt durch seine jüngsten drei Alben geben wird. Neben Werken von Dietrich Buxtehude stehen vor allem Eigenkompositionen auf dem Programm. Und in der Mischung von Historischem und Neuen hat es Francesco Tristano in den vergangenen Jahren zur wahren Meisterschaft gebracht.

Würde sich Tristano allein nur darauf beschränken, als typisch klassischer Pianist die Werke der Großen seiner Zunft einzuspielen und regelmäßig durch die Konzerthäuser dieser Welt zu touren, wäre das allein schon Bereicherung genug. Denn wenn er Bach oder Buxtehude spielt, wie auf den Alben „bachCage“ und „Long Walk“ (Deutsche Grammophon), dann immer mit diesem herrlich leichten Atem, schnörkellos und fast schon kantig klar. Tristanos Anschlag ist differenziert und von einer Feinheit, in der sich sein untrügliches Gespür für das Wesentliche zeigt. Seine Interpretationen der alten Meister sind von einer Frische und einem melodischen Minimalismus, die deren Musik diese bestimmte Note verleiht, als würde man zum ersten Mal, anfangs noch skeptisch, an einer eisgekühlten Cocktailkreation nippen, um sich dann langsam, aber sicher von diesem feinen, gleichzeitig aber auch tiefen Geschmack restlos begeistern zu lassen. Doch darauf allein beschränkt sich Tristano nicht.

Die Lust am Techno aus seiner New Yorker Zeit hat Tristano nicht mehr losgelassen. Das Prinzip Techno, also das Heutige, das so Aktuelle, das will er auch auf die klassische Musik übertragen, denn Buxtehude und Bach haben ihre Musik schließlich damals für ihre Zeit, also ganz aktuell geschrieben. Und wie Buxtehude und Bach sieht sich Tristano nicht allein als Musiker, sondern vor allem auch als Komponist. Gerade in dieser Verbindung gelingt es Tristano immer wieder, scheinbar so gegensätzliche Musikstile und Epochen wie selbstverständlich miteinander zu verbinden. Das zeigt sich schon in solchen Kleinigkeiten wie den Albumtiteln. So hat Tristano für seine Einspielung mit Werken von Johann Sebastian Bach, John Cage und Eigenkompositionen mit „bachCage“ betitelt. Beide Namen wie selbstverständlich zusammen- und dazu noch den großen Bach am Anfang kleingeschrieben. Und wie er dann das Barockgenie Bach mit dem Neutöner Cage verbindet und dazwischen zwar dezent, gleichzeitig aber auch äußerst selbstbewusst Miniatureigenkompositionen setzt, das hat einfach was herzhaft Bezwingendes.

Für sein jüngstes Album mit dem Titel „Long Walk“ ist Tristano noch ein Stück weiter zurückgegangen. Und er ist noch selbstbewusster geworden. Der lange Weg im Titel bezieht sich auf die Reise des 20-jährigen Johann Sebastian Bachs im Jahr 1705 vom thüringischen Arnstadt in das 400 Kilometer entfernte Lübeck, um dort dem bekannten Organisten und Komponisten Dietrich Buxtehude zu begegnen. Für Tristano beschränkt sich dieser „Long Walk“ aber nicht allein auf Buxtehude und Bach, um die Einflüsse des einen auf den anderen aufzuzeigen. Wieder sind Eigenkompositionen von Tristano auf dem Album. Doch nicht wie auf „bachCage“ in Miniaturform, sondern ausgewachsene Exemplare mit jeweils knapp zehn Minuten Spielzeitlänge. Hört man hier Francesco Tristano spielen und wie er Themen von Buxtehude und Bach zitiert, kann dieser lange Weg gar nicht lang genug sein.

„Klavier 2.0“ mit Francesco Tristano am morgigen Samstag, 20 Uhr, im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Der Eintritt kostet zwischen 8 und 26 Euro. Karten in der Ticket-Galerie des Nikolaisaals und unter Tel.: (0331)28 888 28

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })