Vorführung mit dem Filmorchester Babelsberg: Chaplins Tramp wird 100 Jahre alt
Der kleine Tramp gehört zum kollektiven Filmgedächtnis des 20. Jahrhunderts.
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Der kleine Tramp gehört zum kollektiven Filmgedächtnis des 20. Jahrhunderts. Gerade ist er 100 Jahre alt geworden – ein passender Anlass, um Charlie Chaplins ikonische Figur am Freitagabend im Nikolaisaal bei ihren ersten Schritten auf der Leinwand zu zeigen. Dazu spielte das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der bewährten Leitung von Helmut Imig.
Doch erst einmal improvisiert Philipp Marguerre formidabel und punktgenau auf dem Klavier zu The Champion aus dem Jahr 1915. Diese Groteske aus dem Boxer-Milieu steht noch ganz in der Slap-Stick-Tradition. Natürlich gewinnt der kleine Tramp den Kampf mit dem so viel größeren Gegner, wenn auch mit Hilfe seines Hundes, der, wie könnte es anders sein, ein Boxer ist. Schon in dem kurz darauf produzierten Film The Tramp wird eine andere, leicht melancholische Tonart angeschlagen. Es gibt nicht einmal ein Happy End, sondern stattdessen eine berühmt gewordene Schlussszene. Sie zeigt den kleinen Tramp von hinten, wie er ganz alleine in die weite Welt hinauswatschelt.
Die von Helmut Imig eigens komponierte Musik untermalt das turbulente Geschehen effektvoll und gibt dem breit aufgestellten Filmorchester viel Spielraum für alle Instrumente. Dass der Tramp zur Identifikationsfigur wurde, hat sicherlich viele Ursachen. Chaplin spielte die einmal gefundene Rolle über 25 Jahre in mehr als 30 Filmen mit einer großen Bandbreite menschlicher Gefühle und Eigenschaften. Doch er bleibt stets ein Außenseiter und ein Clown, der quer zu den Normen der Gesellschaft steht und ihr in seinem Spiel einen Spiegel vorhält.
Wie in einem echten Chaplin-Film geht es im Nikolaisaal nach dem zweiten Film zu. Dirigent Helmut Imig steht mit gestrafftem Rücken, erhobenem Stab, den Blick auf die Leinwand gerichtet, auf dem Pult. Auch die Musiker sind startklar. Allein, der geballte Einsatz muss dreimal abgebrochen werden, weil die Vorführung nicht an der richtigen Stelle des Films begonnen hatte. Erst nach der vorgezogenen Pause klappt es einwandfrei.
Dass Chaplin mit dem Tramp den Grundstein zu einem Mythos gelegt hatte, war ihm selbst bewusst, wie sich in How to Make Movies zeigt. Als Filmstudio-Chef und als Tramp gibt Chaplin hier eine Doppelrolle, die er auch im wirklichen Leben ausübte. Wie so oft gelingt es ihm dabei, Leben und Illusion als märchenhafte Einheit darzustellen. Aus einem Banktresor holt ein Angestellter keine Dollarscheine, sondern bloß ein Paar alte Lederstiefel. Es sind die Schuhe des kleinen Tramps, Chaplins Markenzeichen und sein größtes Kapital. So wurde How to Make Movies zu einem doppelbödigen Selbstporträt des Weltstars Chaplin.
Schade, dass der Tonfilm noch nicht erfunden war, denn The Vagabond entpuppt sich als veritables Melodrama, zwar mit Komik, aber nicht ohne ein sentimentales Happy End. Torsten Scholz, Konzertmeister des Deutschen Filmorchesters, erhält dabei Gelegenheit seine fabelhaften Spielkünste zu zeigen und Carl Davies erweist sich als kongenialer Komponist der Chaplin-Filme. Auch Helmut Imig, der schon viele Film-Live-Konzerte geleitet hat, ist wieder ganz souverän dabei. Großes Gelächter und viel Spaß im leider nicht ganz ausverkauften Saal. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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