Kultur: Charmante Königin
Lorenzo Ghielmi majestätisch aufrauschend
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„Heute habe ich zum ersten Mal auf meiner Orgel gespielt“, berichtet Preußens Prinzessin Anna Amalia ihrer Schwester Wilhelmine. Allerdings sei sie „ein bißchen laut, was natürlich ist, aber der Ton ist charmant“. Wie zuvor schon ihr Bruder Friedrich, erhalten auch Anna Amalia und Schwester Ulrike Unterricht beim Hoforganisten Gottlieb Hayne. Sie wird zudem im Geigenspiel unterwiesen, ist vom polyphonen Stil Johann Sebastian Bachs fasziniert, sammelt Musikhandschriften und Drucke, lässt Abschriften anfertigen. So entsteht im Laufe der Zeit die berühmte Amalien-Bibliothek, aus deren Fundus sich Musikwissenschaftler und Künstler reichlich bedienen können. Wie der Mailänder Organist Lorenzo Ghielmi, der für seinen Musikfesttage-Auftritt am Sonntag an der Amalien-Orgel in Berlin-Karlshorst auf den Bestand der Sammlung der Prinzessin zurückgreift.
Die Orgel, 1755 als Konzertinstrument in den Lustgartensaal des Berliner Stadtschlosses eingebaut, verfügt über 22 Register, verteilt auf zwei Manuale und Pedal. Doch wie kommt sie überhaupt nach Karlshorst? Dreimal ist die älteste Orgel Berlins im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte verschenkt, einmal verkauft worden. Als Amalia vom Stadtschloss in ihr Palais Unter den Linden zieht, nimmt sie ihre Orgel einfach mit. Nach ihrem Tod 1787 gelangt sie in die Schlosskirche von Berlin-Buch, wo sie in einen 150-jährigen Dornröschenschlaf fällt. 1960 endet ihre Odyssee in Karlshorst, klanglich gründlich verändert. Nach originalgetreuer Restaurierung durfte man 2010 die Wiedergeburt einer Königin feiern.
Der alte Stimmton ist wieder hergestellt, fehlende Pfeifen nach historischen Vorlagen eingefügt, kurzum: mit dem Charme ihrer reizvoll-zarten Klangfarben kann sie wieder die Sinne betören. Und auch die Terrassendynamik mit den barocktypischen Laut-leise-Kontrasten zählt zu ihren vorzeigbaren Stärken. Lorenzo Ghielmi führt es in Choralvorspielen und -bearbeitungen von Johann Sebastian Bach und seinem Schüler Johann Philipp Kirnberger auf sehr lebendige Weise vor. Durchdringende Prinzipalstimmen sorgen für Festlichkeit, figurativ umspielte Tonfolgen für kapriziöse Erbaulichkeit. Verspielte Fugen von Bachsohn Wilhelm Friedemann, leidenschaftlich pulsierende, zartgliedrige Orgelsonaten von Carl Philipp Emanuel sorgen für reichlich Abwechslung. Aus des Vaters festlichem Fugenrahmen fällt dessen zungenstimmenweich registrierte und mit starkem Tremulanten gespielte Choralbearbeitung BWV 709. Ein passables Kontrastmittel zur finalen, prinzipalscharf im vollen Orgelwerk majestätisch aufrauschenden Fuge C-Dur BWV 547, deren dazugehöriges Präludium zu Beginn des Konzerts klammergleich erklingt. Peter Buske
Peter Buske
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