Kultur: Charmeur mit Stimmbändern
Das Andy Bey Quartet im Nikolaisaal
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Das Andy Bey Quartet im Nikolaisaal Von Dirk Becker Alte Männer und Erotik, das ist eine nicht immer glückliche Verbindung. Vor allem, wenn sie sich in der Öffentlichkeit abspielt. Da wären die alternden Schriftsteller wie Gabriel Garcia Márquez, der in seinem letzten Roman „Erinnerung an meine traurigen Huren“ einen Greis in fragwürdiger Weise lendenlastige Frühlingsgefühle erleben lässt. Oder die Herren der Rolling Stones. Alle vier über 60, auf ihrem aktuellen Album „A Bigger Bang“ kein bisschen leiser und was dieses gewisse Thema betrifft, zumindest musikalisch, kein bisschen ruhiger. Fehlt nur noch ein Mann im Rentenalter, der auf Bühne anfängt zu stöhnen. Der Amerikaner Andy Bey, mittlerweile 65 Jahre alt, der am Freitagabend im Rahmen der Foyer-Variationen „The Voice in Concert“ in den Nikolaisaal kam, tut genau das. Er stöhnt sogar bei jedem Lied. Und es funktioniert. Andy Bey sitzt am Klavier, ganz gelassen, altersweise, lächelt ins Publikum, beugt sich zum Mikrophon und dann: „Mhmmmm.“ Und noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Daumen und Mittelfinger greifen schnippend diesen geschmeichelten Rhythmus auf und dann stöhnt Andy Bey. Kurz, tief, kratzend gibt er so den Takt vor, in den Kioshi Kitagawa am Bass und Jeremy Clemons am Schlagzeug einstimmen. Der Jazz ist von der Leine und swingt durchs halbdunkle Foyer. Aus dem „Great American Songbook“ bedient sich Andy Bey. Und wie! „Never let me go“, „Speak low“ oder das ausgelassene „Tuesdays in Chinatown“, Bey macht es den zahlreichen Gästen im Foyer nicht leicht, diese Gassenhauer wiederzuerkennen. Er bricht die Akkorde, streut ein paar Töne, wechselt den Rhythmus und lässt dann seine rauhen Bariton von der Liebe erzählen. Langgezogen, mal gepresst, dann wieder mit weichem Vibrato spielend. Andy Bey ist ein Charmeur mit den Stimmbändern. Als er für „River Man“ sein Klavier verlässt und sich zu Gitarrist Paul Meyers stellt, entsteht einer dieser einzigartigen Momente in der Musik. Die Band spielt, das Publikum hört zu und alles reduziert sich auf diese Minuten. Beys Jazz ist durchtränkt vom Blues. Und wenn Bey dann von der Liebe singt, schwingt immer das Erotische mit. Doch wie Bey dies spürbar macht, ist es nie peinlich. Denn Bey singt von der Erinnerung, ein wenig augenzwinkernd, ein wenig kopfschüttelnd, aber immer in dem Wissen, dass dies etwas ganz Besonderes ist. Natürlich gibt es immer ein paar verkniffene Zeitgenossen, die das nie begriffen haben und auch nie begreifen werden. Doch an solche hoffnungslosen Fälle verschwendet Andy Bey keine Gedanken. Es gibt genug, die ihn hören wollen. So hätte dieser Abend weitergehen können, wäre da nicht Lothar Jänichen. Beim RBB-Kulturradio Moderator der Sendung „The Voice“ führt er in der Pause eine Art Interview mit Andy Bey. Und Bey, der mit 12 als singendes Wunderkind durch amerikanische Fernsehsendungen gereicht wurde, mit seinen Schwestern durch die Welt tourte und erst 1996, nach über 22 Jahren, mit seinem Album „Ballads, Blues & Bey“ wieder in die Öffentlichkeit trat, hätte viel zu erzählen gehabt. Doch Jänichen stellte Fragen nach dem Unterschied von amerikanischen und europäischen Jazzsängern und sah sich nicht einmal in der Lage, die Antworten Beys zu übersetzen. Doch als der sich wieder ans Klavier setzte und mit seinem „Mhmmm“ begann, den Takt anzugeben, war dieses Ärgernis ganz schnell vergessen.
Dirk Becker
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