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Kultur: Country tanzt mit Klassik

Texas Lightning und das Filmorchester Babelsberg musizierten gemeinsam im Nikolaisaal

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Skeptisch schaut ein älterer Herr im adretten Anzug seinen Sitznachbarn an. Der Mann neben ihm trägt Lederstiefel und ein kreischendes Flammenhemd. Zur Krönung thront ein Cowboyhut auf seinem Haupt.

Im Nikolaisaal kam es am Freitagabend zu einer skurrilen Kreuzung. Das Filmorchester Babelsberg bildet eine soundkräftige Wand aus Blas-, Schlag- und Streichinstrumenten auf der hinteren Hälfte der Bühne. Davor positionieren sich Texas Lightning, die Country-Band, der Olli Dittrich als prominente Wertsteigerung am Schlagzeug soviel Aufmerksamkeit bescherte, dass sie Deutschland im vergangenen Jahr beim Eurovision Song Contest in Athen vertraten.

Erinnert man sich an Dittrichs bisherigen Musikausstoß ist die Skepsis des älteren Herrn im Publikum sehr berechtigt: Was kann man von einem Musiker erwarten, dessen größter Erfolg die Single „Mief!“ mit Wigald Boning war? „Nimm mich jetzt auch, wenn ich stinke, denn sonst sag ich Winke-Winke“ klamaukte es Mitte der 90er aus dem Radio. Der Soundtrack zur Sorglosigkeit brachte für das Duo namens „Die Doofen“ etliche Gold- und Platinveredelungen und einen Schrank voll Auszeichnungen. Soviel zur Oberflächenbetrachtung. Doch Dittrichs Vita kann mehr aufweisen: So war er schon seit den 80er Jahren als Songschreiber für Die Prinzen („Küssen verboten“), James Last („Paradiesvogel“) und Lukas Hilbert („Simsalabim“) tätig. Jetzt also Country-Musik mit Texas Lightning. Das Lied „No No Never“ landete beim Song Contest nur im grauen Mittelfeld, in der Heimat ritt es schnellen Hufes an die Spitze der Charts.

In Potsdam fällt zunächst auf, dass Dittrich nicht auffällt. Ganz uneitel konzentriert er sich vornehmlich auf seine Arbeit am Schlagzeug und überlässt die Show den beiden Stimmen von Texas Lightning: der bezaubernden Australierin Jane Comerford im langen, roten Kleid und Jon Flemming, der wie der Rest der Band in voller Western-Montur gekleidet ist.

Die Titel, denen Texas Lightning das Country-Gewand überstülpen, reichen von Beatles-Klassikern („Ticket to Ride“, „Norwegian Wood“) über Madonnas „Like a Virgin“ bis zu „Kiss“ von Prince und Michael Jacksons „Man in the Mirror“. Bei letzterem kann sich der Komiker in Dittrich doch nicht mehr zurückhalten: „Wir spielen jetzt einen Song von einem Musiker, der mal ein glücklicher schwarzer Junge war und heute eine unglückliche weiße Frau ist.“

Auch Reinhard Mey wird sicherlich Schwierigkeiten haben, seinen Hit „Über den Wolken“ wiederzuerkennen. Mit flinker Banjo-Begleitung und einer textlichen Einbürgerung ins Country-Genre wirkt der Song runderneuert und frisch wie nie: „Over the mountains / Freedom“s more than a word in the wind“. Deutsches Kulturgut in einer amerikanisierten Fassung wird von einer deutsch-australischen Countryband unter Begleitung eines klassischen Filmorchesters gespielt. Globalisierung von seiner besten Seite. Die zelebrierte Versöhnung von Klassik und Country findet ihren Abschluss mit Abbas „Dancing Queen“. Das Publikum ist vollständig auf den Beinen und beklatscht Orchester und Band ausgiebig.

Auch Flammenhemd und Anzugmann applaudieren kräftig und zeigen: Klassik und Country sind nicht wie Öl und Wasser, sondern sehr wohl verbindungsfähig. Was zu beweisen war.

Christoph Henkel

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