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Kultur: Cyrano – der mit der großen Nase Junges und zeitgemäßes

Stück am HOT

Stand:

Es gibt im Hans Otto Theater (HOT) den Theaterjugendclub, und dass der ehrgeizig ist und seine Mitglieder Texte nicht nur lernen, sondern auch spielen können, wurde in der Premiere von „Cyrano“ am Samstagabend in der Reithalle A auf liebenswürdige Weise gezeigt. Den stuhllosen, mit Sitzkissen belegten Zuschauerrängen stand eine ähnliche Stufenbühne gegenüber. Man spielte wieder in der „Schwimmhalle“, die hierbei moderne Gefühlskälte assoziierte (Bühnenbild: Matthias Schaller).

Aber man kam sich gar nicht unterkühlt vor, selbst bei dem sehr unüblichen Beginn des Stückes, dessen Verfilmung mit dem großen Gérard Depardieu den Älteren unter uns sicher Modell und Maßstab für alle weiteren Modernisierungen ist. Doch darauf ließ sich die Aufführung unter der Regie von Carsten Kochan einfach nicht ein, obwohl unser Cyrano (Tino Hillebrand) in manchen Szenen tatsächlich an den großen Kollegen erinnerte. Zunächst saßen die sechs Darsteller stumm herum und brachten in der unkostümierten Aufmachung – alle außer Roxanne trugen Jeans und Sweat-Shirt – (Kostüme: Antje Sternberg) allein durch Faxen zum Lachen, bis Cyrano sich die lange Nase einfach aufsetzte, als sei er ein Clown. Selten war so deutlich markiert, dass die große Nase nur ein Symbol für eine sicht- oder unsichtbare Minderwertigkeit eines herzlich Liebenden gemeint sein kann. Was zunächst als Klamauk verstanden werden konnte, wurde immer wieder von gefühlter und gespielter Ernsthaftigkeit gebrochen – das Stück von Jo Roets, aktuellen Sprachgewohnheiten angepasst, changierte gekonnt zwischen jugendlicher Albernheit und großem Gefühl. Tino Hillebrandt überzeugte gerade in der nicht immer nur großmütig seinem schlaksigen Rivalen Christian (Felix Freese) überlassenen Sprachgewalt. Immer wieder brach das moderne Leben durch, so als Roxanne (Jana Herrmann) Briefe von ihrem Verehrer verlangt, der siegesgewiss das Handy aus der Tasche nimmt, um eine SMS an sie abzufeuern.

Doch da ist Cyrano vor und übernimmt den sprachgewaltigen Part, der auch in seiner beiläufig gesprochenen Version berührte. Pathos sollte auf jeden Fall vermieden werden, aber man spürte den angehaltenen Atem der Zuschauer gerade bei jenen Szenen, die eine glückliche Wendung des Schicksals von Cyrano und Roxanne hätten bringen können. Wunderbar den verlierenden Helden spielte auch Jonathan Dümke, der trotz seiner wenig heldenhaft anmutenden Statur siegesgewiss die Sonnenbrille aufsetzte, das Haar machohaft nach hinten strich und seine Zynismen aus heruntergezogenen Lippen rüberbrachte. Und vollends überzeugte, als er, Verrat und eigene Dummheit gleichzeitig erkennend, seinen Widersacher mit überschlagender Stimme „Du bist raus“ ins Feld schickte. Selbst im Abgang zuckten seine Arme, als wären sie wild geworden Feuerwehrschläuche, die sinnlos Einsatz fordern.

Jana Herrmann als Roxanne beherrschte ihren Part der immer attraktiven und falsch liebenden Frau im kurzen Rock und weißen T-Shirt und fand am Ende in dem steigernd herausgerufenen ungläubigen „Warum?“ einen dramatischen Höhepunkt. Anna Tarkhanova war in wechselnden Rollen durch Schürze und zu großem Helm ein eigener Charakter, und Wenke Volkmann führte mit Geige in die romantischen Situationen ein und als Erzählerin auch wieder aus ihnen heraus. Die fehlende Kulisse wurde von ihr manchmal gewollt fehlerhaft dargebracht, so dass man bei „über der Tür eine Sitzbank“ wieder herzlich lachen konnte und doch auf die Inszenierung und Künstlichkeit der Aufführung als solcher zurückgeworfen war. Aber gerade dieses beständige Erinnern daran, dass wir ja in einer ganz und gar unromantischen Epoche leben und eben lieber Handys als Liebesüberbringer nehmen, machte den Reiz dieser Inszenierung aus.

Denn nur so glaubten dann alle an das ganz große Gefühl, für das Cyrano täglich seine Briefseiten füllte. Und die Wunderkiste der Requisite, aus die das Stück seine Hilfsmittel à gusto bugsierte, war ein wunderbarer, gut funktionierender Regieeinfall. Lore Bardens

Lore Bardens

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