Kultur: Da steckt der Grusel drin
Das musikalische Theaterstück „Orange & Zitrone“ feierte im T-Werk eine gelungene Premiere
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Das musikalische Theaterstück „Orange & Zitrone“ feierte im T-Werk eine gelungene Premiere Vieles mag dem freien Willen entspringen, manches entsteht erst durch Widerstand. Das literarisch-musikalische Programm „Orange & Zitrone“ etwa, eine Melange aus Märchen und barocken Liedern Britanniens, war ursprünglich Uranias Gartenlesungen zugedacht. Aber den Verantwortlichen schien es wohl zu gruselig, ihrem sanft gesinnten Publikum Schauergeschichten von abgehackten Beinen, Geschwistermord, Kinderfressern und anderen Gräulichkeiten zuzumuten. Dafür kam Prinz Charles zu den Weichbrodts. Möglicherweise war das gut so, vielleicht aber hätte man sich von der szenischen Umsetzung doch noch überzeugen lassen. Am Freitag hatte das Werk von der Theatergruppe T-Werk im T-Werk seine eigene, von vier Vorhängen umjubelte Premiere. Die Sopranistin Juliane Sprengel und die ihr gleichwertige Mezzosopranistin Henny Mirle sangen gefühlvolle Lieder von Dowland, Purcell und Campian, die Schauspieler Dominik Stein und Timo Sturm nahmen das Wort auf der dichtbestuhlten Bühne (Heide Schollähn), Julia Liebig begleitete den 80-minütigen Abend sehr eindrucksvoll auf einer Gitarre, die sogar Lautenklänge erzeugte. Viel Andrang, auch aus dem Reich der Kinder: Nein, sein Sohn fürchte sich nicht vor dem Gruseln, er mag sogar Schauergeschichten, versicherte ein Vater dem Einlasspersonal. Eintritt gewährt. Aus einer Hintergasse begann es. Die beiden Sängerinnen schritten langsam und hehr heraus, im Duett und wunderbar heiter das schöne „Nymphs and Shepherds“ von Purcell singend. Dann vernahm man Streit. In Form eines Text-Dialoges gerieten Stein und Sturm auf die Bühne, und just war der vollbesetzte Theatersaal auch schon in der Welt von „Fairy Tales“ und „Drolls“, den literarischen Vorlagen. Es ging um den „Kampf der Tiere“, um einen Königssohn, Riesen, märchenhafte Bewährung mit garantiertem Happy End, was sonst. Dialogisch, fragend, episch, hatte Regisseur Jens-Uwe Sprengel den Anfang bestimmt – vielleicht dräute allzu viel Kraft darinnen, welche den Vokalistinnen hier noch fehlte. „Two daughters“ und „Lost is my quiet“ – zwei gut gearbeitete Duette mit einer klaren und einer leicht herben Stimme, toll. Von den Herren erfuhr man, wie ein Minister nachahmen will, was ihm der Königssohn demonstrierte: Der Prinz kaufte ein Schwein – es wurde die schönste Prinzessin daraus, doch dem Beamten blieb die Sau selbst nach der Kirchentrauung mit sich identisch. Im weiteren Verlauf „beruhigten“ sich die Sprecher, reziprok nahm die Lebhaftigkeit der Sopranistinnen angenehm zu. „Go, crystal tears“. Jens-Uwe Sprengel hatte kleine Extras in die Szenen eingebaut, Schreiten mit Tassen zum Tee nebst Umkehr bei denen, die eben nicht dran waren, zuerst bei den Damen, final bei den Herren. Das hatte genauso viel Charme wie die Darstellung der Moritaten „Vom schlimmen Tommy“, oder die Titelerzählung, darin das Kind Orange wegen eines zerbrochenen Kruges von der Mutter bestraft und verspeist wird. Engländer mögen“s halt so. Aber alles geht gut aus. Die Sprecher gaben diese Texte nicht direkt, brachten sie mit soviel Lakonie und Komik herüber, dass es sogar in den Gärten zum Lachen gewesen wäre. Eine sehr publikumsfreundliche Ästhetik. Klimax des Abends: die Mär vom „Kükenlüken“. Weil die Schauspieler zu handeln, die Vokalistinnen aber „nur“ zu singen und zu wandeln hatten, blieb in diesem hübschen Programm freilich einiges offen. Etwas fehlte, vielleicht eine Reaktion der lieblichen Damen auf den Grusel der Herren, jede für sich? Sie waren so einsam, so sphärisch, so hehr. Ganz märchenhaft eben. Die nächsten Vorstellungen von „Orange und Zitrone“ finden am Freitag, dem 16., und am Sonnabend, dem 17. September, jeweils um 20 Uhr, im T-Werk, in der Schiffbauergasse 1 statt.
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