Kultur: Dann wollen wir mal
Kleiner-Hei-Preisträger Tilmann Rammstedt las bei Wist aus seinem Roman „Wir bleiben in der Nähe“
Stand:
Gewiss ist ein Dreieck geometrisch gesehen kein gewagtes Gebilde. Was jedoch Beziehungen angeht, hat selbst unter freien Geistern ein solcher Triangel, das wissen wir seit François Truffauts „Jules et Jim“, bisweilen seine Tücken. Als Henri-Pierre Roché die Romanvorlage für Truffauts Film von 1962 schrieb, war er bereits weit über 70. Tilmann Ramstedt, das verrät sein jugendliches Auftreten mit kühner Frisur, Hemd aus der Hose und Dreitagebart auf den ersten Blick, ist wesentlich jünger. Doch obgleich der diesjährige Preisträger des Literaturpreises „Der kleine Hei“, gestiftet und verliehen vom Literaturhändler Carsten Wist, vor erst dreißig Jahren in Bielefeld geboren wurde, zeugt sein Roman von kaum weniger Lebenserfahrung als Rochés.
Am Freitag las der Nachwuchsautor anlässlich der Preisverleihung im brechend vollen Literaturladen Wist aus seinem Roman „Wir bleiben in der Nähe“. An dessen Anfang steht die Einladung zu Katharinas Hochzeit. Anlass, aber nicht Grund, für Ich-Erzähler Felix über seine Anfang-Dreißiger-Existenz als Arzt nachzudenken, endlich den alten Freund Konrad anzurufen, sich an die Zeit der Dreierbeziehung und all die lustigen Stunden zu dritt zu erinnern und einmal darüber nachzudenken, was damals eigentlich falsch gelaufen war, als Katharina und Konrad ein Paar waren. Bis auf donnerstags, da war Konrad nicht da, und Katharina und Felix waren ein Paar. Felix, von Katharinas Einladung zu ihrer Hochzeit mit irgendeinem Tobias aufgewühlt, überzeugt nun Konrad, mit ihm zu Katharina nach Hamburg zu fahren. Möglicherweise, um sie von der Hochzeit abzuhalten, möglicherweise aber auch, um mit ihrem künftigen Ehemann eine innige Männerfreundschaft zu schließen. Schnell wird klar, ohne Ziel wird es keinen Weg geben. Doch erst einmal gibt es einen – naturgemäß wenig durchdachten – Entschluss: Katharina soll entführt werden. Natürlich nur, um ihr die Möglichkeit zu geben, nachzudenken. Zu ihrem eigenen Besten also. Die planlose Fahrt führt in das westlichste Departement Frankreichs, Finistère – übersetzt: Ende der Welt. Hier, darin ist Rammstedts Buch ebenso wie in der Montage der Zeitebenen ganz literarisches Roadmovie, geht es nicht mehr weiter. Selbst wenn die Sätze, die mit „man könnte“ beginnen, nun schon ganze Seiten füllen, eine Forderung zu formulieren fällt den Entführern schwer. Und genau das fordert die Entführte, ebenso wie das Leben, das sich bei allen dreien als weit weniger erfüllt erweist, als es früher mal zu werden versprach.
Doch das Meer, und sei es auch der Atlantik, ist, wie es bereits im ersten Satz des Romans heißt, selbst nicht gut in Entscheidungen, fließt ja selbst stetig vor und zurück und ist demnach keine Hilfe. Dennoch ist den dreien am überraschend absehbaren Ende des Romans wenigstens klar, dass auch die Entscheidung zum Aufbruch kein Selbstzweck ist. Ansonsten ist das Ende offen, aber ein richtiges Ende habe „ja nix im Leben“, zeigte sich Tilmann Rammstedt in der Diskussion mit Carsten Wist überzeugt. Sein nüchterner Stil im Buch wie bei der Lesung, der das Groteske in der Vorstellung seines Ich-Erzählers mitunter so weit treibt, dass es nur vom Wahnsinn im wirklichen Leben zu übertreffen ist, spiegelt Erfahrungen, die der Autor mit seinen Romanfiguren teilt.
Auch er könne nicht mehr genau sagen, warum er wo zwischen Tübingen und Edinburgh studiert, warum er dies und nichts anderes getan habe, so Rammstedt. Sein Roman tritt mithin aus der schon fast unüberschaubaren Zahl an Geschichten über junge Männer in der Krise um die Dreißig, weil er unterhaltsam ist und dem Auditorium mehr als ein Lachen entlockt. Und dennoch darüber hinaus zeigt, dass trotz des Plädoyers für Entscheidungen nicht alles, was neu ist auch gut wird, nur weil das alte nicht immer perfekt war. Obwohl die Zeit zu dritt ihre Fehler hatte, brechen die drei am Ende irgendwie wiedervereint auf. Jedenfalls die „Anzahl stimmt wieder“. Moritz Reininghaus
Moritz Reininghaus
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: