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Kultur: „Darin steckt ein sehr utopischer Gedanke“

Der Theaterautor Lutz Hübner über sein Stück „Richtfest“, das am morgigen Freitag im Hans Otto Theater Premiere hat

Stand:

Herr Hübner, was steht am Anfang eines neuen Stückes wie „Richtfest“, das am morgigen Freitag in Potsdam Premiere hat? Eine Figur, ein Bild, eine Problematik?

Es ist eine Mischung aus verschiedenen Sachen. Bei „Richtfest“ war es zum einen unsere Überlegung vor vielen Jahren, selber in eine Baugemeinschaft einzutreten. Dadurch haben wir uns damals ein bisschen bei Freunden erkundigt und überlegt, wie das eigentlich vor sich geht. Außerdem hat man, wenn man für das Theater schreibt, irgendwann so einen Sensor für theatralische Momente – und was bei der Gründung einer Baugemeinschaft vor sich geht, ist eine extrem theatralische Situation: dass eine Gruppe von Menschen beschließt, ihre Ressourcen zusammenzuwerfen und gemeinsam zu leben. Darin steckt ein sehr utopischer Gedanke und ein großes Aufeinander-angewiesen-Sein. Das ist sehr interessant, weil man verschiedenste Biografien durchspielen kann.

Wenn ich Ihre Texte lese, dann stelle ich Sie mir als jemanden vor, der als Spion durch diese Welt geht. Ihre Dialoge, Ihre Geschichten und Figuren funktionieren so gut, weil sie wirklich wirken, wie dem Leben abgelauscht oder abnotiert. Sind Sie das, ein Spion im Alltag?

Man kann das Spion nennen. Man kann auch sagen: Wenn man eine Weile im Beruf ist, wird man irgendwann Fischer. Man fährt mit einem Schleppnetz durch die Welt und guckt, was an Situationen, an Dialogen, an Macken und Schrullen hängen bleibt. Sodass man auf einen gewissen Fundus zurückgreifen kann, wenn man die Figuren konzipiert. Das andere ist, dass wir, Sarah Nemitz, mit der ich die Stücke zusammen schreibe, und ich, erst einmal unglaublich viel recherchieren. Das ist fast die längste Phase eines Schreibprozesses: das Material sammeln. Die zweite Phase ist dann die, dass man versucht, aus all dem etwas Fiktives zu schaffen.

Neben dem Da-Draußen, dem Leben selbst: Was inspiriert Sie? Theater? Filme? Lektüre?

Vor allem beim Recherchieren des Themas kommt viel Theorie-Lektüre dazu. Bei „Richtfest“ ist der Ansatz natürlich auch, zu fragen: Was für eine Art von Utopie steckt in diesen Baugemeinschaften? Denn eigentlich sind die großen Erzählungen der 70er-Jahre vorbei, und die sozialistischen Utopien von damals sind in ihrer Schrumpfform das, was Baugemeinschaften heute sind. Dieser Ansatz, zu sagen: Wir gestalten unser Leben, unsere Umstände selbst. Wir etablieren selbst, wie wir miteinander umgehen und wie wir Probleme klären. Das ist ja quasi die große Utopie im Kleinen. Da muss man sich natürlich fragen: Welchen Weg hat das eigentlich genommen? Die Baugemeinschaften, die ja doch ein sehr bürgerliches Phänomen sind, vor allem wegen des Finanzierungsproblems, kommen eigentlich aus einem sehr linken Kontext, aus dem Kommune-1-Milieu. Im Idealfall ist das Stück am Ende dann beides: einerseits konkrete Wirklichkeit, andererseits der Versuch, ein Phänomen soziologisch und politisch zu greifen.

Was uns zum widersprüchlichen Titel des Stücks bringt. Denn das „Richtfest“, das im Titel steht, gibt es ja nicht. Das Richtfest ist das, worauf das Stück hinzielt, dieses Moment des Gemeinsamen, Utopischen. Bevor es dazu kommen kann, geht das ganze Projekt krachen. Wird hier auch über ein bestimmtes Ideal, die Möglichkeit einer Utopie gerichtet?

Ich glaube nicht, dass es darum geht, den Versuch insgesamt zu werten und zu sagen: „Das kann ja alles nicht funktionieren“ oder: „Der Mensch ist zu egoistisch“. Es geht eher darum, die Menschen auf dem Weg in die große Konfrontation zu beobachten, auf die das Stück hinausläuft. Ein anderer Aspekt ist, dass eine funktionierende Baugemeinschaft ja einfach nicht abendfüllend wäre. Man kann Widersprüche und Konflikte immer besser erzählen, wenn man die Geschichte in die Katastrophe treibt. Wie Dürrenmatt sagt: „Eine Geschichte ist zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Aber nicht um zu sagen: Lasst eure Finger von Baugemeinschaften. Sondern um zu schauen, wann die Gruppe das Verhalten der anderen nicht mehr erträgt. Um zu fragen: Woran gehen solche Projekte krachen? Diese Konfliktsituationen braucht man für den Zuschauer, damit er sich fragen kann: „Was würde ich eigentlich machen? Wäre ich jemand der sagt: Wir werfen das Geld in einen Topf und dann helfen alle allen? Oder würde ich sagen: Moment, wir wohnen nur zusammen, jeder ist für sich verantwortlich?“

In Potsdam wird nach wie vor auch Ihr Erfolgsstück „Frau Müller muss weg“ gezeigt, wo anhand eines Elternabends an einer Grundschule allerhand verhandelt wird, auch Ost-West-Konflikte. Sie selbst waren zwischen 1993 und 1996 als Schauspieler und Regisseur in Magdeburg engagiert. Haben diese Jahre im Osten kurz nach der Wende den Autor Hübner, den gebürtigen Heilbronner, geprägt?

Die Begegnung mit Magdeburg war wichtig, weil es einen erst mal durchgerüttelt hat. Weil man in einem Kontext war, der völlig ungewohnt war. Vom Landestheater Neuss nach Magdeburg zu gehen, hat bedeutet, herauszukriegen, was die Leute dort mitgemacht haben, sich aber auch zu fragen: Wie kann ich mich selbst dazu verhalten? Wie kann man auf die Zeit, in der man lebt gucken, und wie kann man auf sie anders gucken? Insofern war das eine wichtige Erfahrung für mich. Um gewisse Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen.

Dieses Sich-in-andere-Hineinversetzen durch konkrete Geschichten macht Sie zu einem der meistgespielten deutschsprachigen Autoren unserer Zeit – aber nicht zum Liebling des Feuilletons. Da tut man Ihre Texte gerne als Gebrauchstheater, als „bedienerfreundliche Mittelstandsliteratur“ ab. Trifft Sie so etwas?

Na ja, in 20 Jahren gewöhnt man sich an so etwas und man weiß, wer sowieso immer nur drauf drischt. Man entwickelt eine Hornhaut. Es natürlich nicht so, dass es einen völlig kalt lässt. Das andere ist, und das ist ein ziemlich deutsches Phänomen: Wenn man komödiantisch arbeitet, gilt das als Kultur zweiter Güte, ganz als ob Komödien einfacher wären als Tragödien. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt ja auch diese Idee: Wenn etwas populär ist, dann kann das nicht ganz hinhauen. Was den Vorwurf des Gebrauchstheaters angeht: Natürlich ist ein Theaterstück ein Gebrauchsgegenstand. Ein Stück vollendet sich auf der Bühne, da muss es funktionieren.

Theater sollte nicht vor allem versuchen, Kunst zu sein, sondern verstanden zu werden?

Theater ist für mich vor allem ein politisches Medium. Als Dramatiker gebraucht man es, um seine Geschichten zu erzählen. Und diese Geschichten sollten im besten Fall etwas über gesellschaftliche Zustände erzählen, über Ungelöstes. Es sollte keine Botschaft haben, sondern eine Frage so präzise formulieren, dass ein Publikum über diese Frage, über verschiedene Standpunkte nachdenken kann. Ob das dann Kunst ist oder nicht, darf man beim Schreiben gar nicht bedenken. Der Auftrag der Bühne ist, bei aller Notwendigkeit politisch zu sein, auch Unterhaltung. Ich habe den größten Respekt vor der Unterhaltung anderer Leute. Und die Leute wollen Geschichten hören, Geschichten, die berühren und die provozieren.

Und Ihr eigenes Baugemeinschaftsprojekt damals, was wurde draus?

Wir haben uns relativ früh wieder davon verabschiedet.

Das Gespräch führte Lena Schneider.

Premiere von „Richtfest“ am morgigen Freitag um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse.

Lutz Hübner, geb. 1964 in Heilbronn, ist Dramatiker, Schauspieler und Regisseur. Er ist mit der Schauspielerin Sarah Nemitz verheiratet, die ihn beim Schreiben unterstützt.

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