Kultur: Das Alte bewahren?
Deutscher P.E.N. fordert Rücknahme der Rechtschreibreform / Diskussionen zum Kulturradio
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Deutscher P.E.N. fordert Rücknahme der Rechtschreibreform / Diskussionen zum Kulturradio Vor fast zehn Jahren wurde die umstrittene Rechtschreibreform beschlossen, die 1998 in Kraft trat und 2005 allgemein verbindlich werden soll. Auf der Jahrestagung des deutschen P.E.N.-Zentrums unter dem Motto „Literatur im Jahre zwei nach PISA“, die gerade in Potsdam zu Ende gegangen ist, wurde ein Antrag mit großer Mehrheit verabschiedet, der die Rücknahme der Rechtschreibreform und die Wiedereinsetzung der ehemaligen Regelungen fordert. Das klingt zunächst etwas übertrieben. Denken die Schriftsteller denn gar nicht an die Kinder, die bereits die neuen Regeln gelernt haben und sich womöglich die alten abtrainieren mussten? An die unzähligen Bücher, die nach der neuen Regelung gedruckt wurden? Dem Entschluss zu dieser radikalen Position ging ein fundierter Vortrag des Historikers Reinhard Markner (Halle) und eine Diskussion voraus. Obwohl die Mitgliederversammlung rein äußerlich wie ein Altherrenklub wirkte, wurde in dem locker gefüllten Saal im Alten Rathaus lebhaft diskutiert und der Präsident Johano Strasser setzte ein flottes und klares Entscheiden durch. Dass die neue Rechtschreibung gravierende Mängel hat, weder als Fortschritt noch als Vereinfachung bezeichnet werden kann, rief Reinhard Markner mit Beispielen ins Gedächtnis, deren Absurditäten so weit gehen, dass sie als Witz taugen. Vor allen Dingen machte er deutlich, dass die Reform nicht nur sprachlich problematisch sei, sondern auch politisch. Sie wurde weitgehend über die Köpfe derjenigen hinweg entschieden, die mit Sprache umgehen: Schriftsteller, Linguisten und andere. So hatte der P.E.N. einen Sitz im Beirat zur deutschen Rechtschreibung, doch dieser Beirat war derart gestaltet, dass er für Kritik und Entscheidungen untauglich war und übergangen werden konnte. Auch die Uneinigkeiten innerhalb der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung seien übergangen worden. Obwohl die Reform nie Mehrheitsfähig war, habe sie irgendwann als beschlossene Sache gegolten und sei ohne Parlamentsbeschlüsse auf dem Verordnungswege durchgesetzt worden. „Die deutsche Sprache und ihre Verschriftlichung ist zur geheimen Verschlusssache geworden,“ kritisierte Reinhard Markner angesichts der orthographischen Konferenz, die gerade in Mannheim stattfand – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. „Jeder Versuch der Stabilisierung der sprachlichen Verhältnisse von Staats wegen hat etwas Anmaßendes,“ sagte Markner. Vielmehr müssten sich die orthographischen Regeln an der tatsächlichen sprachlichen Praxis orientieren. In der Diskussion gab es einige Stimmen, die das Thema Rechtschreibreform insgesamt als unwesentlich erachteten oder für eine Liberalisierung also Willkür der Rechtschreibung eintraten. Den meisten leuchtete es jedoch ein, dass der P.E.N. eine geschlossene Position vertreten muss, wenn er sich nicht selbst zur Stummheit verurteilen will. Es sei wichtig, der staatlichen Überraschungstaktik entgegenzutreten, meinte Markner. Und dass es längst zu spät sei, habe man den uneinheitlich protestierenden Schriftstellern bereits 1996 vorgeworfen. Bei der Podiumsdiskussion zur Frage „Radio ohne Literatur?“ ging es weniger lebhaft zu, hauptsächlich aus Mangel an Zeit. Gibt es einen Paradigmenwechsel im Kulturradio, der es dazu verdammt, nach Marktgesetzen zu funktionieren? Kulturradio nicht mehr als „Einschalt- und Zuhör-“, sondern als „Tagesbegleitmedium“, das mit „Durchhörbarkeit“ und „Entwortung der Programme“ auf den Konkurrenzdruck privater Radios und des Fernsehens, sowie auf kommerzielle Gesetze reagiert? Wird es in Zukunft noch Literatur im Radio geben? Wie ernst ist die Lage? Christoph Lindenmeyer, Kulturleiter beim Bayerischen Rundfunk wehrte sich gegen die Selbstdemontage des Kulturradios, das gerne in eine Krise geredet werde. „Solange es Literatur für das Radio gibt, wird es Literatur im Radio geben.“ Dass Kulturradio nur eine Minderheit erreiche, liege in der Sache selbst, war schon immer so und sei kein Argument für seine Infragestellung. Doch gibt es unter den jüngeren Hörern noch die Fähigkeit und Lust, Anspruchsvollem zuzuhören? Lindenmeyer warnte vor der Unterschätzung der Intelligenz des Publikums. Die Programmplanung müsse autonom bleiben, sich nicht den Marktbedürfnissen unterwerfen, sondern dem Publikum gerade das bieten, was jenseits der Bestsellerlisten zu finden sei. Wie aber kann das Kulturradio dem Verdacht des Altmodischen entgehen, wie mit dem Älterwerden der Hörerschaft und dem stetigen Rückgang der finanziellen Mittel umgehen? Marlis Gerhardt, Literaturredakteurin beim Südwestrundfunk, zeigte sich ratlos angesichts der Tatsache, dass sie Jahr für Jahr weniger Aufträge vergeben könne. Hajo Steinert, Leiter der Abteilung "Kulturelles Wort" und der Buchredaktion beim Deutschlandfunk Köln, sieht die Zukunft des Kulturradios gerade darin, dass es sich vom Mainstream, vom Kommerz abhebe. Dagmar Schnürer
Dagmar Schnürer
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