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Kultur: „Das Alte darf nicht nur Dekoratives sein“

Der Potsdamer Architekt Reiner Becker über moderne Architektur in der historischen Mitte und das Potenzial Wissenschaft

Stand:

Herr Becker, wie stark kann ein Architekt heute überhaupt noch das Stadtbild von Potsdam prägen?

Das ist eine interessante Frage. Ich denke genauso stark wie in allen anderen Zeiten auch. Gerade auch durch den offenen Wettbewerb. Ein Architekt bekommt heute für ein öffentliches Bauwerk niemals den Auftrag, nur weil er jemanden kennt. Das hat natürlich zur Folge, dass wir eine gewisse Autorität haben, was unsere Architektur betrifft. Denn als Architekt habe ich mir das Projekt ja ausgesucht. Zwar gibt es dann immer noch Abstimmungsbedarf, aber mit einer gewissen künstlerischen Freiheit ist man trotzdem ausgestattet. Dadurch können wir dann ein Stadtbild bestimmen, besser gesagt mitgestalten.

Das ist auch an einem so historisch geprägten Ort wie der Potsdamer Mitte möglich?

Selbst so ein Stadtbild gilt es zu gestalten. Das ist ja bei der Diskussion um den Landtag im wieder aufzubauenden Stadtschloss deutlich spürbar. Es ist ein Gestalten des Stadtbildes im weitesten Sinne, auch wenn es eigentlich nur eine Rekonstruktion ist.

Sie sind mit der Sanierung und dem Umbau des Alten Rathauses zum neuen Potsdam-Museum beauftragt. Welche Möglichkeiten haben Sie hier überhaupt? Ist das letztendlich nicht auch nur eine Art von Rekonstruktion?

Nein, denn wir haben uns hier für einen anderen Weg entschieden. Einfach aus der Geschichte dieses Gebäudes heraus, dem Zusammenspiel von Knobelsdorff-Haus, Altes Rathaus und dem sogenannten Verbinder. Hier können wir nicht historisierend das ursprüngliche Bürgerhaus nachbauen. An dieser Stelle muss man sich für eine klare und saubere Architektursprache entscheiden.

Wobei dieser Verbinder wegen seiner doch geringen Größe im Vergleich zum ganzen Ensemble Alter Markt gar nicht so offensichtlich ins Gewicht fallen wird.

Dieser Bereich ist zwar klein, aber wegen seiner Funktion als zukünftiger Eingang zum Museum ein sehr gestaltender Bereich für die historische Mitte.

Als Architekt sind Sie in Potsdam sehr präsent: Das Landesbildungszentrum des Brandenburger Dachdeckerhandwerks, das Alte Rathaus, die Stadt- und Landesbibliothek, ein neues Institutsgebäude auf dem Telegrafenberg. Wird man bald durch Potsdam gehen können und genau erkennen können: Ja, hier hat der Architekt Reiner Becker gebaut?

Sie meinen die Frage nach der Handschrift?

Ja.

Ich denke schon. Denn wer sich unsere Architektur der vergangenen 16 Jahre anschaut, erkennt eine eigene Linie. Dabei wird man aber nie inszenierte Architektur erleben.

Was verstehen Sie unter inszenierter Architektur? Ist nicht jede Architektur auch Inszenierung?

Inszenierte Architektur beginnt für mich, wenn sie nicht mehr der Funktion folgt, sondern nur noch dekoriert. Zwar ist nicht jedes Bauteil ein Funktionsteil, aber wenn Elemente hinzugefügt werden, die den Inhalt, den Nutzen eines Gebäudes unscharf werden lassen, beginnt inszenierte Architektur.

Wie genau vermeiden Sie eine solche Form der Inszenierung?

Wir legen Wert auf eine zurückhaltende Geste. Das liegt allein schon daran, weil wir sehr oft im historischen Bestand bauen. Wir verwenden eine Architektursprache, die mit der historischen Substanz vernünftig umgeht, die aber immer auch eine persönliche Handschrift erkennen lässt. Ein Handschrift, von der man auch in 20 Jahren sagen kann, dass hier für die Stadt eine Lösung gefunden wurde, die sie weitergebracht hat.

Worin liegt für Sie der Reiz als Architekt, sich ausgerechnet mit bestehenden Gebäuden zu beschäftigen, wo Sie oft genug auch noch durch die Auflagen des Denkmalschutzes zusätzlich eingeschränkt werden?

Der Reiz liegt in der Vergangenheit. Denn an solchen Gebäuden haben im Laufe der Geschichte oft mehrere Bauherren ihre Spuren hinterlassen. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Geschichte zurückzuverfolgen, die Vorstellungen und Ideen der Bauherren zu verstehen und dann in die Gegenwart umzusetzen. Es darf nicht darum gehen, das Romantische, das für viele Menschen von einem alten Gebäude ausgeht, nur wieder zu etwas Dekorativem zu machen. Das ist zu wenig.

Viele Menschen jedoch beharren auf dieses Dekorative und tun sich schwer mit modernen Eingriffen. Sich gegen diese Widerstände zu behaupten gehört auch zur Aufgabe eines Architekten. Ermüdet Sie das nicht?

Nein. Meine Erfahrung ist: Wenn man den Menschen erklärt, ihnen die Geschichte beschreibt, verstehen die das auch. Das macht auch Spaß. Insofern ist das kein ermüdender, sondern ein schöner Prozess, den ich auch bei der Diskussion um das Alte Rathaus erlebe. Außerdem habe ich als Architekt, wenn ich hier in der Innenstadt, an dieser exponierten Stelle baue, auch die Verpflichtung, mit den Menschen den Dialog zu suchen. Und ich begrüße es immer, wenn der Bürger neugierig ist und fragt: Was passiert denn hier mit meiner Stadt.

Begrüßen Sie als Architekt auch, dass das Potsdamer Stadtschloss im Grunde als Kopie rekonstruiert werden soll?

Ich hätte mir gewünscht, dass für das Stadtschloss ein offener Architekturwettbewerb ausgeschrieben worden wäre und so nationale und internationale Architekten ohne Bindung an einen Investor Vorschläge hätten machen können. Das wäre meiner Meinung nach für diesen Ort die richtige Lösung gewesen und hätte sicher viel Spannendes hervorgebracht.

Das ist leider nicht passiert.

Ja und ich glaube auch aus der Angst vor der modernen Architektur.

Gibt es in der historischen Innenstadt von Potsdam überhaupt noch die Chance für moderne Architektur?

Hier gibt es noch vieles zu tun. Aber Potsdam ist für die Architektur an vielen Stellen sehr reizvoll. In Babelsberg sehe ich beispielsweise noch Potenzial.

In welcher Form?

Vor allem im Wohnbereich.

Und dort kann man wie in der Potsdamer Innenstadt trotz des stark historischen Charakters mit neuer Architektur Akzente setzen?

Selbstverständlich. Babelsberg hat eine schön gewachsene Struktur. Dort kann es sehr reizvoll sein, mit guter, moderner Architektur zu arbeiten.

Damit hat es sich aber auch schon mit den Möglichkeiten für die moderne Architektur.

Überhaupt nicht. Die Wissenschaft ist für Potsdam ein enorm wichtiges Thema. Wir bauen auf dem Telegrafenberg, neben dem Einsteinturm, das neue Institutsgebäude für das Geoforschungszentrum. Und gerade für die Wissenschaft wird es in Zukunft in Potsdam, vielleicht nicht direkt in der Innenstadt, viele Möglichkeiten und auch Bedarf für neue Gebäude geben.

Dann bietet also die Wissenschaft für Potsdam die Chance für moderne Architektur?

Absolut. Da nenne ich wieder unser Institutsgebäude auf dem Telegrafenberg, das in einem hoch sensiblen Bereich entsteht. Auf der einen Seite der große Refraktor, auf der anderen der Einsteinturm, das Gebäude für die expressionistische Architektur schlechthin. Und ich glaube, wir sind diesem Standort mit unserem Enwurf gerecht geworden, weil wir mit dem Gebäude zu weiten Teilen in die Erde gegangen sind. Schaut man sich den Einsteinturm an, wirkt der wie ein Schiff, das Richtung Süden fährt. Wir bleiben mit unserem Gebäude bewusst deutlich hinter dem Einsteinturm, greifen aber dessen Dynamik auf. Eine schöne, aber auch zurückhaltende und dem Standort entsprechende Geste.

Also müssen wir nicht befürchten, dass sich Potsdam nur auf seine historische Architektur beschränken wird?

Nein, denn das Potenzial ist da und auch der Mut dazu.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Reiner Becker (48) leitet das Architekturbüro Becker mit 18 Architekten und Ingenieuren in Potsdam. Neben Projekten in Potsdam plant er unter anderem die Bauhaus-Bibliothek in Dessau.

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