Kultur: Das Auf und Ab akzeptieren
Mercedes Bunz moderiert im Filmmuseum eine Veranstaltung zum Thema „Generation Praktikum“
Stand:
„Erfinde dich selbst und neu“ ist das Thema einer Film- und Veranstaltungsreihe im Filmmuseum zum Thema Arbeit. Der kommende Dienstag steht im Zeichen der „Generation Praktikum“ und wird moderiert von Tagesspiegel-online-Chefredakteurin Mercedes Bunz.
Frau Bunz, wie viele Praktika mussten Sie absolvieren, bevor Sie eine Festanstellung bekamen?
Eigentlich keins. Ich habe aber bereits während meines Studiums an der Freien Universität Berlin eine eigene Firma gegründet. Die Praktika, die ich zuvor absolvierte, zeigten mir, dass sie nicht viel bringen, außer ein Reinschnuppern in verschiedene Bereiche.
Wie lief es mit Ihrer Firma?
Die Verlagsgründung von „Debug“, einem Monatsmagazin für elektronische Lebensaspekte, war wie ein selbstgeschaffenes Praktikum, nur mit noch mehr Selbstausbeutung. Nach anderthalb Jahren zahlte ich mir mein erstes „Praktikantengehalt“ in Höhe von 250 Mark, ein Zubrot für die Miete.
Und wie hielten Sie sich finanziell über Wasser?
Ich studierte ja noch und schrieb nebenbei auch für andere Zeitungen. Außerdem hatte ich meine Eltern stärkend im Rücken. Allerdings sagten sie irgendwann in meinem achtjährigen Studium: „Kind, jetzt reicht“s. Wir halbieren Dir die Zuwendungen.“
Und wie erging es Debug?
Meine Firma ist heute zehn Jahre alt. Ich bin allerdings nicht mehr dort tätig, fungiere nur noch als Herausgeberin.
Sie schrieben vor einem Jahr in den PNN, dass Ihre Generation keine Perspektive hat und dass in Deutschland nach Jahrzehnten die erste Generation lebt, die weiß, dass es ihren Kindern nicht besser gehen werde als ihr selbst. Ist das nicht zu schwarz gemalt angesichts des konjunkturellen Aufwindes und der Kinderankurbelungswelle von Frau von der Leyen?
Ich glaube, es hat sich schlagartig in den vergangenen Monaten in der Stimmung der Menschen etwas getan. Aber das Problem bleibt dennoch. Es wird vom Staat suggeriert, dass unsere Arbeitskraft nichts wert und zu teuer ist. Das zeigen gerade auch die Streiks bei Verdi oder Telekom. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit sich das auf das Gefühl junger Leute auswirkt.
Viele gut ausgebildete junge Leute zieht es ins Ausland. Auch Freunde von ihnen gingen nach Amerika ...
Ja, und ein Drittel meiner Bekannten pendelt von ihrem Wohnort Berlin ins Ausland. Sie haben ihren Arbeitsplatz in Oslo oder Wien.
Das klingt nicht gerade nach Stimulanz für Familiengründungen. Können Sie sich vorstellen, trotz Ihres Fulltime-Jobs, ein Kind zu bekommen?
Klar. Ich glaube, gerade da verändert sich einiges. Junge Leute heute wissen, dass es immer ein Auf und Ab gibt. Sie sind Anfang 20 und bekommen Kinder. Das hätte ich damals nie gemacht. Bei mir hieß es noch: Erst musst du etwas erreichen und dann kommt die Familie.
Gerade wird beklagt, dass junge Frauen den Osten verlassen.
Der Staat hat von uns verlangt, flexibel zu sein. Und jetzt ist er überrascht, dass wir uns nicht brav flächendeckend verteilen.
Wird es weiter Abwanderungen geben?
Natürlich, denn daran, wie mit den Leuten umgegangen wird, hat sich ja nichts geändert. Leistung muss sich lohnen. Und damit das so ist, gehen viele weg. Im Ausland ist man einfach immer noch mehr wert. Bin ich hier mit meinem Studium fertig, fange ich bei Null an. Der Abschluss zählt nichts. In England werde ich hingegen ernst genommen, dort bedeutet meine Ausbildung etwas.
Was muss sich ändern?
Der normative Druck der Gesellschaft muss aufhören. Es ist falsch zu sagen: Du musst immer besser werden, im nächsten Job noch mehr Geld verdienen. Das schürt Ängste. Es kann einem auch mal schlechter gehen und trotzdem ist das kein Grund, sich zu hinterfragen. Sicherheit gibt es nicht. Auch in den sozialen Vorzeigeländern Skandinaviens nicht. Doch dort werden die Arbeitslosen aber nicht verdammt. Die Leute werden öfter arbeitslos, bekommen aber schnell auch wieder neue Jobs. Zudem sind sie besser abgesichert. Auch in den USA ist man im Leben nicht gescheitert, bloß weil vielleicht die eigene Firma pleite geht.
Derzeit heißt es, dass es in vielen Bereichen an qualifizierten Arbeitskräften mangelt.
Ja, und da holen wir uns gut ausgebildete Ausländer nach Deutschland, statt unsere eigenen Ausländer auszubilden.
Was würden Sie der Generation Praktikum empfehlen?
Man sollte sich nicht unter Wert verkaufen. Praktika zu machen, ist prinzipiell nicht verkehrt, denn man sammelt dabei Erfahrung und lernt, ob einen Arbeitsgebiete überhaupt interessieren. Aber nach einer bestimmten Zeit ist es wichtig, für sich einen Schnitt zu machen. Dann heißt es: Durchhalten und sich nicht unterkriegen lassen. Und vielleicht mit den Erfahrungen lieber etwas Eigenes mit Freunden aufzuziehen, als nur nach einer Festanstellung zu suchen.
Das Gespräch führte Heidi Jäger.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: