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Kultur: Das Borgia-Exempel hatte Premiere

Nun ist es da, „Das Grauen der Borgia“ in der Comédie Soleil, frei nach dem Dichter Klabund. Am Freitag war Premiere im gutbesuchtem Haus.

Nun ist es da, „Das Grauen der Borgia“ in der Comédie Soleil, frei nach dem Dichter Klabund. Am Freitag war Premiere im gutbesuchtem Haus. Kerzenschein, leise Töne aus dem Off , buntes Laub als Hinweis auf den Herbst sorgten für eine angenehme Atmosphäre. Nur fünf Darsteller spielten in Mehrfachbesetzung, was damals wie heute kaum zu fassen ist, die Geschichte eines geld- und machtbesessenen Mannes aus dem Hochgeschlecht der Borgia, welcher seit 1492 als Papst Alexander VI. so ziemlich alle Übel aus dem Katalog der Laster lebte, Gott ein Gräuel: Bestechung, Intrigen, Auslöschung seiner Gegner, Sodomie und Inzucht – klar, dass der Vatikan diesen Namen ungern hört und die noch vorhandenen Kabinette dieses heillosen Pontifex für Neugierige höchst ungern öffnet. Aus Klabunds Roman „Borgia“ (1928) hat Theaterchef Michael Klemm eine frappierend schlichte Bühnenfassung erstellt, beginnend mit dem Bericht des Chronisten Goritz (Michael Klemm im historischen Rollstuhl) über Borgias Wirken als Kardinal bis zu seinem Tod durch Gift aus den eigenen Reihen. Gut gemachte Off-Sentenzen ergänzen den Gang der Handlung. Es versteht sich von selbst, dass Alexander verheiratet war, Sohn und Tochter hatte – seine Hoffnung, daraus ein immerwährendes Geschlecht zur Beherrschung des Erdkreises zu machen. „Wir sind im Anmarsch, wir Borgias!“, ruft er wie trunken heraus. Die Bühne hat Detlef Brand gebaut, eine wunderbar geschlossene Konstruktion mit großem Kreuz an der Rückwand, Kerzen-Kandelabern, sich nach unten verjüngenden Tüchern zur Teilung des Raumes, dem Papst-Thron ganz nah an den Stühlen mitten im Parkett – Soleil sieht jetzt anders aus, viel eleganter. Klemm führte nicht nur Regie, er gab auch einen merkwürdig geschmeidigen Kirchen-Chef, im Erfolgsfall zwar unangemessen hohnlachend, doch sonst ganz aus dem Passiv heraus reagierend. Kein corporalisches Ekel jedenfalls. Als ihn sein Widersacher, der Dominikanermönch Savonarola, zur Umkehr anruft, gibt er sich mit Schauspieltalent reuig, fordert von dem später Verbrannten, ihn persönlich zu züchtigen, worauf der eifernde Ankläger (Detlef Brand) eiligst entflieht. Schöne Szene. Aus dem gezeigten Kontext versteht man tatsächlich den Sinn des Zölibats. Weniger Sohn Cesare (Jörg Zuch), ein Haudegen, als Figur eine Kraftgestalt der Renaissance, sondern Tochter Lucrezia (Nadja Winter) zeigt dem „heiligen“ Papa, wie angreifbar ein Papst als sündenträchtiges Familienoberhaupt ist. Schrill und ordinär am Anfang, ist sie es, die dem Vater eine ihn nicht tötende Nadel in die Brust schießt. Sie hasst ihn, denn er begehrt auch ihr Bett. Winter begründet ihre geänderte Haltung mit tiefer Abscheu gegen dieses verruchte Geschlecht, was die Regie aber kaum vorbereitete und etwas bemüht wirkte. Es ist immer schwer, zu spielen und gleichzeitig Regie zu führen. Corinna Wiedenmann war in allen Rollen (Julia, Amme Lucrezias) ein wenig blass. Klemm hatte ja versprochen, mit einer skurrilen Geschichte in die Abgründe der Renaissance zu tauchen. Das wurde zuerst dank einer dichten Raumatmosphäre (wunderbare Klänge von Christian Uebel, gute Licht-Regie) und dem Anspruch, eine Geschichte zu erzählen, auch weitgehend eingelöst. Das Ensemble spielt in historischer Kostümierung (Jana Bobak) nur wenig Psychologie, sondern bemüht sich, Vorgänge sichtbar zu machen, damit der Zuschauer ein Grauen empfinde. Hier ist noch einiges möglich, beispielsweise beim Finale: Der am Gift krampfende Papst wirkt vor dem erscheinenden Tod wenig glaubhaft, vielleicht hätte der Chronist alles „zumachen“ sollen. Die Inszenierung ist in jedem Fall ein Gewinn, nachzudenken über die Allianz zwischen dem scheinbar Heiligsten mit seinem Gegenteil als ein großes Exempel. Gerold Paul Nächste Vorstellung: 27. bis 29. Oktober, 20 Uhr.

Gerold Paul

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