Von Babette Kaiserkern: Das Buch der Liebe
„Chanson d’Amour“: Schauspieler des Hans Otto Theaters präsentierten Liederabend über die Liebe
Stand:
Auf der ganz in schwarz gehaltenen Bühne stehen acht Schauspieler, vier Frauen und vier Männer. Am linken Bühnenrand, dicht dran am Publikum im Hans Otto Theater sitzt eine vierköpfige Band. Los geht der etwas andere Liederabend über die Liebe im forsch-treibenden Rhythmus von Gilbert Becauds Klassiker „Dans tes bras“. Gemeinsam schmettert das Ensemble den Refrain – Ohrwurm und Hymne zugleich.
Das unter der Leitung von Ludger Nowak (Musik), Tobias Wellemeyer (Regie) und Alexandre Tourinho (Choreographie) erarbeitete Programm präsentierteam Samstag viele Facetten der Liebe, doch eine fehlte. Schwärmerische, träumerische, sehnsüchtige, sentimentale Töne kamen praktisch nicht vor. Das Buch der Liebe des Hans Otto Theaters präsentiert die bekannten Stadien von der Einsamkeit zur Zweisamkeit und zurück, ein paar kuriose Oldies, viel Nachdenkliches und Neues, vor allem Aktuelles in deutscher Sprache. So manches konnte entdeckt werden, etwa Roger Ciceros ironisch-alltagstaugliche Songs wie „Zieh die Schuhe aus“ oder „Du willst es doch auch“ mit dem Geruch nach Küche, Kindern, Kleinfamilie.
Doch vorher gibt es vielleicht doch so etwas wie Verliebtsein, das Lockenkopf Friedemann Eckert in Philipp Poisels „Seerosenteich“ mit jungenhafter Zurückhaltung besingt. Bloß nicht zu viel Gefühl zeigen, heißt die Devise in diesem schlicht-zarten Lied. Vom Verlassenwerden singt René Schwittay taumelnd und schwankend, ein bisschen im Harald-Juhnke-Stil. In solch einer Situation findet heutzutage wohl manch einer Ersatz im Internet, wie im Song „Chat Aime“ drastisch beschrieben wird. Im Lied „Mensch, so’ne Scheiße“ (Stephan Sulke) gibt Bernd Geiling den larmoyanten Verführer, der sich vor den Konsequenzen drückt. Mit kunstblonder Tolle und ruppigem Ben-Becker-Charme besingt Eddie Irle eine andere Männerliebe – in „Mein guter Stern“ geht es bloß um ein schnödes Auto. Erstaunlicherweise existiert auch heute noch das Genre des Frauenlobs, das Musik und Dichtung seit altersher in unterschiedlichem Ausmaß durchzieht. Es klingt nur völlig anders, nämlich schnoddrig, hektisch, cool und gerappt, im Song „Süße Früchte“, eigentlich ein frecher Minnesang der Gegenwart.
Unter den Damen entpuppt sich Meike Finck als stimmgewaltige Rock-Röhre, so im Song „Lass uns endlich auseinandergehen“ (Ruben Cossani). Eine außergewöhnlich klare und biegsame Stimme besitzt die zierliche Franziska Melzer, die anrührend von „Eleanor Rigby“ und kokett-anmutig vom „Siezverhältnis“ (Anett Louisan) erzählt. Mit ausladender Altstimme streift Andrea Thelemann durch die karstigen Gefilde langjähriger Liebschaften – so im „Lied der alten Liebenden“ und in „Veinte años“.
Großartig auch die Grande Dame des Hans Otto Theaters, Rita Feldmeier, die gar nicht divenhaft, sondern im weißen Hosenanzug sehr sachlich wirkt. Damit ragt sie aus der überwiegend schwarz und grau gekleideten Schar heraus (Ausstattung: Iris Kraft). Rita Feldmeier besitzt die reife Stimme für die kleinen Tragödien des Programms, den „Traurigen Sonntag“ und das herrlich düstere „Narzissen und Kakteen“. Einige nostalgische Lieder geben den Schauspielern Gelegenheit zum Erinnern, wie es in der „Cafeteria von Milano“ war oder damals, als die Männer noch Machos waren und gerade darum so begehrt („Er war kein Kavalier“).
Eine Prise melancholisches Philosophieren bringt Klaus Hoffmanns „Jenseits der Angst“, das kongenial von Rita Feldmeier gesungen wird. Die Band um Ludger Nowak spielt beschwingt und präzise die überwiegend flotten Rhythmen aus Rock, Rap-Musik, Latin und einem Musette-Walzer zum Akkordeon. Mit „Ich und Du“ des jungen Philipp Poisels macht Eddi Irle zu guter Letzt noch einen zarten Antrag, bevor die sichtlich begeisterten Zuschauer im Hans Otto Theater mit der Aufforderung „Don’t wait too long“ entlassen werden. Zwar kommen große romantische Gefühle an diesem Abend allenfalls zwischen den Zeilen vor. Dennoch gibt es viel Applaus für ein amüsantes, unterhaltsames und anregendes Programm.
Babette Kaiserkern
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