Kultur: Das Dresden von einst ist weit weg Durs Grünbein las aus „Die Jahre im Zoo“
Es ist wie ein böser Witz: Bis kurz vor Beginn der Veranstaltung in der Villa Quandt bangen die Organisatoren, ob Durs Grünbein an diesem Mittwochabend überhaupt bis in die Große Weinmeisterstraße gelangen und aus seinem neuen Werk über das Dresden von einst lesen kann. Grünbein lebt in Berlin-Charlottenburg, er reist mit dem Zug an, doch der Hauptbahnhof in Potsdam ist am Abend gesperrt – ausgerechnet wegen einer Demonstration des Potsdamer Pegida-Ablegers.
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Es ist wie ein böser Witz: Bis kurz vor Beginn der Veranstaltung in der Villa Quandt bangen die Organisatoren, ob Durs Grünbein an diesem Mittwochabend überhaupt bis in die Große Weinmeisterstraße gelangen und aus seinem neuen Werk über das Dresden von einst lesen kann. Grünbein lebt in Berlin-Charlottenburg, er reist mit dem Zug an, doch der Hauptbahnhof in Potsdam ist am Abend gesperrt – ausgerechnet wegen einer Demonstration des Potsdamer Pegida-Ablegers. Grünbein kommt mit Verspätung, der Saal aber bleibt gerade mal halb voll. Auch das wohl der schwierigen Verkehrssituation in Potsdam am Mittwochabend geschuldet.
Als Dauerbegleitmusik bezeichnet Grünbein die inzwischen regelmäßigen Störungen durch die rechte Bewegung, die in seiner Heimatstadt begann. „An die müssen wir uns wohl gewöhnen, auch bei der nächsten Wahl“, sagt er nur lapidar.
In seinem Roman „Die Jahre im Zoo“, der im vergangenen Herbst erschienen ist, beleuchtet Grünbein wie in einem Kaleidoskop die Orte seiner Kindheit. Der 1962 geborene Autor wuchs in der Gartenstadt Hellerau auf, „ein geheimer kultureller Ort“, so Grünbein, wo auch Rilke und Bernhard Shaw weilten und Kafka an dem Gartentor des Hauses seiner Eltern vorbeispazierte.
Vom Moderator und Leiter des Literaturbüros Hendrik Röder gefragt, ob er denn alt genug sei, um auf das Leben zurückzublicken, sagt der 53-Jährige: „Ich schaue weniger auf das Leben zurück. Vielmehr konzentriere ich mich auf eine Phase der Kindheit, die mit 17 beendet ist und die ich versuche zu rekonstruieren.“ Ihn beschäftigt eher eine philosophische Idee, der Diskurs der Kindheit.
Dazu geführt hätten ihn auch seine Töchter, die er in einer Phase beobachtet, die ihm selbst verschüttet sei. Nicht nur eigene Übung im Erinnern ist der Roman, sondern für Grünbein auch ein historisches Projekt, hat er doch dafür in Ortschroniken recherchiert und sich, wie im Laufe des Abends deutlich wird, eine ungemeine Sachkenntnis über Hellerau, Anziehungspunkt für Künstler und Sozialutopisten, angeeignet.
Zum Erinnern beschwört Grünbein Bilder aus seinem Fundus, die in dem Buch zu sehen sind. Er habe Fotografien zu Hellerau gehortet, als er bereits weg war, erzählt er. So spielt die Perspektive von Hellerau auf die Elbestadt eine wichtige Rolle – immer etwas höher gelegen, am Rande der Stadt. Als Inspiration für den Titel des Buches diente auch ein Bild, das Gemälde „Das große Gehege“: eine Flussansicht von Caspar David Friedrich.
Grünbein, so wird es auch in seinen Gedichtbänden und in diesem Buch deutlich, hegt seit seiner Kindheit ein Interesse an Zoologie und Genealogie. Und natürlich sei der Titel auch eine Metapher für die Kindheit in der DDR. „Ein sehr frühes Gefühl hat sich im Körper eingeprägt, dass mir nur eine kleines Stück Territorium zur Verfügung steht – und das hab ich nie akzeptiert.“
Widerständig, wie sich Grünbein selbst sieht, ist auch der Text. Prosa wechselt mit Versen, die Beschreibungen wirken auch in der Lesung kühl, distanziert und versperren sich einem leichten Zugang. Doch Grünbein stellt dabei zu Recht die Frage danach, wie viel Widerstand ein Text heute noch auslösen darf. giw
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