Kultur: Das Dutzend ist voll
Orgelsommerfinale mit Johannes Unger
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Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Was zur Folge hat, dass Johannes Unger, Organist an der Lübecker Marienkirche, sein geplantes Programm für den Auftritt beim Orgelsommer zuvor gründlich umstellte, um Titel erweiterte oder geplante Stücke verwarf. So schuf er sich eine gute Ausgangsbasis dafür, sein konzertantes und liturgisches Orgelspiel am Mittwoch am Woehl-Instrument in der Friedenskirche auf noch nachdrücklichere Weise vorzuführen.
Mit der d-Moll-Toccata seines berühmten Vorgängers Dietrich Buxtehude im Lübecker Organistenamt startet der im Sächsischen geborene, mehrfach preisgekrönte Johannes Unger zu einer Barockreise, die ihn schließlich in hochromantische Gefilde führen wird. Energiegeladen geht er zu Werk, das er straff artikuliert, um es alsbald ins Strahlende zu führen. Schon hierbei erweist er sich als ein Organist, der überaus phantasie- bis effektvoll, jedoch nicht zu mätzchenverspielt zu registrieren versteht. Für einen langsameren Abschnitt bevorzugt er schnarrende Stimmen, für eine tänzerische Melodiestimme schaut er sich im passenden Diskantangebot um. Und für Buxtehudes nachfolgende Choralbearbeitung „Vater unser im Himmelreich“ wählt er weiche, reichlich tremolierende Zungenstimmen. Wirkungsvoll breitet Unger auch das Magnificat in A von Jean-François Dandrieu (1682-1736) aus: im vollen Orgelwerk, im echoreichen Trompetendisput zwischen Bass und Oberstimme, lieblichem Flötengesang, kernigem Final-„Dialogue“. Dagegen singen sich die anlässlich seines 100. Geburtstages ausgewählten „Variationen über ‚Lucis creator’“ von Jehan Alain in totaler Verinnerlichung aus. Genau passend zur nachfolgenden Intimität von Johann Sebastian Bachs d-Moll-Sonate BWV 527, die sich beseelt und weich, dann rhythmisch beschwingt ausbreitet.
Auch in diesem Abschlusskonzert des 21. Internationalen Orgelsommers wird an das 200-jährige Wiegenfest von Franz Liszt mit der von ihm selbst auf die Orgel übertragenen sinfonischen Dichtung „Orpheus“ erinnert. Da nun kann Johannes Unger den ganzen Farbenreichtum der sinfonisch disponierten Woehl-Orgel ausschöpfen, was er mit Raffinement und dem rechten Gespür für die Poesie des Werkes tut. Mit viel Streicherschwebung und Flötenregister stimmt der Titelheld sehr introvertiert seinen Liebesgesang an. Und der dauert reichliche zehn Minuten und die können einem sehr lang werden. Erhört wird er von Frau Venus, und zwar in personifizierter Klanggestalt aus der „Planeten“-Suite für Orchester von Gustav Holst, die Arthur Wills für die „Königin der Instrumente“ transkribiert hat. Verführerisch-wonniglich präsentiert sie sich sirenengleich.
Wer nach so viel Süßspeise aus der romantischen Garküche auf etwas Handfestes hofft, hört sich auch beim Klangdessert, der Choralimprovisation über „Näher, mein Gott zu Dir“ von Sigfrid Karg-Elert, arg enttäuscht. Es säuselt, schnarrt und trompetet wie oft gehört, doch der finale Gaumenkitzel bleibt trotz hymnischer Zwischensteigerung aus: Der Abgang mündet in verklingende ätherische Gefilde. Hier wie dort verheißen lang ausgehaltene Schlussakkorde, dass nun ein Stück zu Ende gegangen ist. Da weiß man doch, woran man ist. Auch, dass die Saison beendet ist. Wird es eine nächstjährige geben, wird dieser Leuchtturm, auf den die Kulturministerin des Landes so stolz ist, mangels finanzieller Unterstützung erlöschen?
Peter Buske
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