Kultur: Das Erinnern hat viele Handschriften
Konzertgedenken an den 60. Jahrestag der Zerstörung von Potsdams historischer Mitte
Stand:
Konzertgedenken an den 60. Jahrestag der Zerstörung von Potsdams historischer Mitte Von Peter Buske „Feindliche Bombergeschwader im Anflug auf die Reichshauptstadt“ vermeldet am 14. April 1945 die Flakleitstelle. Doch diesmal ist es nicht wie gewohnt. „Das Geräusch der nahenden Flieger war anders als sonst“, erinnert sich Aribert Reimann (geb. 1936). „Es war eher wie ein fünffaches Pianissimo, dann brach ohrenbetäubender Lärm aus.“ Das 20-minütige Bombardement sei ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen, berichtet der Komponist, der diese „apokalyptische Nacht“ in Potsdam erlebte. Im Rahmen eines „Konzerts zum Gedenken an die Zerstörung von Potsdams historischer Mitte vor 60 Jahren“ steht er der FAZ-Musikredakteurin Eleonore Büning Rede und Antwort, nachdem im Nikolaisaal seine „Metamorphosen über ein Menuett von Franz Schubert für zehn Instrumente“ (1997) verklungen sind, aufgeführt von Mitgliedern der Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Michael Sanderling. Das Werk scheint den Ohren scheinbar nah und vertraut, zerbröselt nach und nach, setzt sich neu zusammen, gewinnt sich zunehmend Distanz. Ein gleichsam gläserner Instrumententon verstärkt diesen Eindruck noch. Das Stück mit seinem rational geprägten Gefühl fordert den hellwachen Zuhörer. Der ist auch beim „Concerto funebre“ für Violine und Streicher von Karl Amadeus Hartmann (1905-1936) gefragt. Lang gezogen klagt das Soloinstrument, dann folgen abrupte Wechsel ins Erregte. In diesem Spannungsfeld vollziehen sich visionäre Vorstellungen von dem, was durch den Beginn des Krieges geschehen wird. Dieses Konzert ist Bekenntnismusik pur, ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Die Solistin Isabelle van Keulen spielt es ausdrucksstark und hochkonzentriert, vom Orchester zu einem unaufhörlichen Monolog angestachelt. Sie erweist sich dabei als eine exzellente Rhetorikerin von Gefühl und gesellschaftlicher (Noten-)Verantwortung. Im energischen Zugriff, geradezu zornig und auffahrend, bisweilen ruppig, meistert sie mit klarem Ton das Allegro, das in die vom Komponisten erahnte Realkatastrophe zu münden scheint. Erschütternd der finale, quasi im Nichts verlöschende Choral. Viele Handschriften kennt das Gedenkkonzert. Auch die von Gideon Klein (1919-1945) und seines Divertimento für Bläseroktett. Es entstand 1940, ein Jahr bevor er im Konzentrationslager Theresienstadt interniert worden war. Das lebensfrohe Werk kommt nicht ohne kichernden Witz, kecke Persiflagen und auftrumpfende Grotesken daher. Pointiert, intonationssauber und präzise im Zusammenspiel wird es musiziert. Nicht weniger engagiert spielt die Kammerakademie abschließend die Kammersinfonie c-Moll op. 110a von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), eine Bearbeitung des 8. Streichquartetts durch Rudolf Barschai. Trauer und Klage zeichnet das Werk aus. Ergreifend und klangschön wird es ausgebreitet. Die Sologeige (Peter Rainer) singt einleitend ein bewegendes Lamento, im abschließenden Largo ist''s das Cello (Anke Heyn), das eine hoffnungsfrohe Kantilene anstimmt. Dazwischen gibt es bizarre Episoden, ruppige Passagen, gewalttätige Tuttischläge der Streicher. Der Bitte von Aribert Reimann, dem Friedenserhalt nach wie vor größte Aufmerksamkeit zu schenken, mochte sich wohl keiner der ergriffenen Zuhörer verschließen. Dem weltlichen Gedenken folgt in der Friedenskirche die religiöse Erinnerung an den Schreckenstag. Um 22.20 Uhr beginnt der Großangriff britischer Bomber auf Potsdam. Minutiös hat Luftschutzwart Richard Pohl das Inferno beschrieben. Seine Tagebuchaufzeichnungen sind Teil der Andacht, der sich die einprägsame Wiedergabe des „Requiem“ von Gisbert Näther (geb. 1948) anschließt. Gedichte aus der Kriegszeit, von Dietrich Bonhoeffer, Jochen Klepper und Reinhold Schneider verfasst, trennen und verbinden die einzelnen Musiknummer, kommentieren sie und verschaffen ihnen einen ungewohnten, geradezu neusichtigen Zugang. Klaus Büstrin hat sie ausgewählt und trägt sie vor: sachlich, distanzwahrend, aber nicht der inneren Anteilnahme verlustig. Auf dem Alten Markt „Tote, nichts als Tote“, so ein Augenzeugenbericht. „Requiem aeternam dona eis“ (Ewige Ruhe gib ihnen) verheißt das musikalische Gedenken. Düstere Tubaklänge und viel anderes Blech herrschen in diesem antiariosen, zerklüfteten und spröden Werk vor. Schönklang kennt es kaum. Herb klingt auch die Bitte um ewige Ruhe. Unter Leitung von Matthias Jacob herrscht gestisches Musizieren und Rezitieren vor. Klanghart hört sich an, was die Nähe zu bekannten Totenklagen bewußt meidet. Die Orgel (Christian Deichstetter) lässt sich viel in Diskantlagen vernehmen. Vom stimmgewaltigen Ausbruch („Dies irae“) bis zum fast tonlosen Sprechgesang („Rex tremendae“) sind der Frauenchor vom Vocalkreis Potsdam, der Bariton Jörg Gottschick, die Harfenistin Cornelia Büttner und die Potsdamer Turmbläser gestaltungsintensiv bei der Sache. Stehend und in Stille wird der über 1500 Toten vom 14. April 1945 gedacht. Nur die Glocken läuten.
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: