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Kultur: Das Geschenk der Toten

„Putin hat Geburtstag – Ein Abend für Anna Politkowskaja“: Uraufführung am Hans Otto Theater

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Böse Zungen behaupten, der Tod von Anna Politkowskaja sei ein Geschenk für Wladimir Putin gewesen. Genau an dem Tag, als er seinen 55. Geburtstag feierte, wurde die unerschrockene Journalistin in einem Fahrstuhl hinterrücks erschossen. Nicht allen gefiel, was sie über das unfassbare Leid in Tschetschenien und die unaufgeklärten Kriegsverbrechen mitzuteilen hatte. Ein Jahr nach diesem noch immer unaufgeklärten Mord will das Hans Otto Theater an Anna Politkowskaja erinnern: mit der dokumentarisch angelegten Inszenierung „Putin hat Geburtstag“, die morgen ihre Uraufführung hat.

Regisseurin Petra Luisa Meyer kniete sich tief hinein in das Thema: erschüttert von den Erlebnisberichten und Fotos, die sie mit körperlich und seelisch zerbrochenen Menschen und verkohlten Leichen konfrontierten. „Wenn man das liest, das ist die Hölle.“ 2500 Seiten Material recherchierte sie. „Ich las, was ein russischer Soldat über seinen Einsatz in Tschetschenien schrieb, viele Berichte von Hinterbliebenen beim Geiseldrama von Beslan und natürlich die Bücher von Anna Politkowskaja. Dann kam das Problem: Was filtere ich heraus, wie verdichte ich das Ganze zu einem Stück? Im Theater kann man schließlich nicht fünf bis acht Geschichten gleichzeitig erzählen.“ Schließlich kam ihr die Idee, Putins Geburtstagsfeier in Szene zu setzen. Und da tauchen sie auf: die Wiedergänger und unliebsamen Geister, die er mit seiner Politik der eisernen Faust auf den Plan rief. Auch Anna Politkowskaja reiht sich als lebende Tote mit ihrem Geschenk in die Gästeschar ein. Gespielt wird sie von Rita Feldmeier. „Sie hatte es allerdings schwer, Zugriff zu ihrer Figur zu finden. Man weiß privat sehr wenig über Anna Politkowskaja, eigentlich nur, dass ihre Ehe schief ging und sie zwei Söhne hatte. Beide sind in dem Alter, in dem andere auf dem Schlachtfeld verheizt werden, in einem Krieg, den keiner will und keiner braucht. Die Bürgerrechtlerin mochte es nicht, wenn viel Aufhebens um ihre Person gemacht wurde. Ihr Leben war Tschetschenien.“ Die unbeirrbare Journalistin hörte zu, wenn russische und tschetschenische Mütter über ihre Söhne berichteten, die manchmal über Nacht verschwanden und schließlich irgendwann am Straßenrand tot aufgefunden wurden. Sie empörte sich über Zustände in der russischen Armee, wo selbst innerhalb der Kasernenmauern rohe Gewalt wütet und junge Männer ihr Leben verlieren.

„Diese mutige Frau hat etwas von einer Antigone-Figur, die gegen den König antritt, ein Kampf wie David gegen Goliath. Sie selbst birgt in sich theatralisches Material.“ Anna Politkowskaja war bereits das 22. Opfer unter Journalisten, die in der Regentschaft Putins das Leben verloren: erschlagen, erstickt, vergiftet, erschossen. „Und Gerhard Schröder sagt von Putin, er sei ein lupenreiner Demokrat. Ich will nicht behaupten, dass alles Putin gewesen ist, aber er ist der Chef dieses Landes, in dem Zeugen verschleppt werden, das Justizsystem nicht funktioniert, alle Medien unterwandert sind. Russland marschiert unter dem Deckmantel der Demokratie wieder auf Sowjetzeiten zu.“ Und Schröder spiele bei all dem mit, nunmehr als Compagnon im russischen Gasgeschäft. „Eine Verflechtung, die mir in ihrer Ungeheuerlichkeit erst jetzt richtig bewusst wurde.“ In der Rolle des ehemaligen Bundeskanzlers wird Roland Kuchenbuch zu sehen sein. „Er sieht ihm mit seiner Perücke verblüffend ähnlich.“

Es sind keine psychologischen Szenen, die Petra Luisa Meyer auf die Bühne im neuen Theater bringt. „Aber es prallen Welten aufeinander, die sonst nie aufeinandertreffen würden,“ sagt die Regisseurin. So versetzen sich Jennipher und Carmen-Maja Antoni in die Rollen einer Mutter und Großmutter, die ein Zwillingspaar bei dem Schulmassaker von Beslan verloren. „Mit viel Liebe erzählen sie über ihre Söhne und Enkel: anrührend und traurig. Sie stehen für etwas nicht Zensiertes.“ Auch Putin wird zu hören sein: in Originaltönen, die die Regisseurin aus seinen Reden übernahm.

Als sie ihr „Putin“-Stück schrieb, hatte Petra Luisa Meyer auch schon „Verbrennungen“ im Kopf, ein Stück des libanesischen Autors Wajdi Mouawad, das sie am 9. November auf die Bühne des Hans Otto Theaters bringt. Es setzt sich mit dem Bürgerkrieg im Libanon auseinander. „Der Krieg in Tschetschenien ist absolut exemplarisch. Bürgerkriege ähneln sich überall. Es ist bewundernswert, dass es Menschen wie Frau Politkowskaja gibt, die den Mut haben, die Vorgänge zu dokumentieren. Sie war sehr radikal, aber das muss man sein, um etwas zu bewirken.“

Nach der morgigen Premiere um 18 Uhr gibt es eine von Lea Rosh moderierte Diskussion mit den Journalisten Dirk Sager und Norbert Schreiber sowie dem russischen Philosophen Michail Ryklin. Die nächste Vorstellung ist am 22. November.

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