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Und das Raubtier lauert schon. Melanie Straub als Blanche und René Schwittay als Stanley in Tennessee Williams’ Drama „Endstation Sehnsucht“.

©  HL Böhme/HOT

Kultur: Das Gesetz des Dschungels

Der Mensch am Abgrund: Die Potsdamer Schauspielerin Melanie Straub in der Rolle der Blanche DuBois in dem meisterhaften Drama „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams, das am morgigen Freitag Premiere am Hans Otto Theater hat.

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Blanche also, dieses Schattenwesen, diese Verzweiflungsträumerin, Verzweiflungslügnerin. „Ich will keinen Realismus“, sagt diese Blanche. „Ich will Zauber! Ja, ja, Zauber! Das versuche ich Menschen zu vermitteln. Ich lasse Dinge in anderem Licht erscheinen. Ich rede nicht von dem, was wahr ist, ich rede von dem, was wahr sein sollte. Und wenn das Sünde ist, dann will ich verdammt sein!“

Arme Blanche! Da lacht sie sich das Leben schön. Für den kurzen Augenblick, den ihr ängstliches Lachen die Wirklichkeit überdecken kann. Und dann redet sie und redet sie und redet sie sich eine so durchsichtige, so zerbrechliche Illusionsfassade zurecht, die alles nicht nur schlimmer erscheinen lässt. Nein, die alles nur noch schlimmer macht.

Ach, arme Blanche, sprichst so theatralisch schön von Sünde und bist dabei schon längst verdammt.

Die erste Begegnung mit Blanche DuBois war für Melanie Straub von wenig Mitgefühl geprägt. „Sie hat mich genervt“, sagt Melanie Straub. Blanches jüngere Schwester Stella war ihr beim Lesen des Textes von „Endstation Sehnsucht“ einfach sympathischer. Aber wie so oft am Theater, wenn sich eine Rolle anfangs sperrig gibt, der Charakter sich dem Schauspieler zu widersetzen scheint, ist es die Probenzeit, also das gemeinsame Herantasten mit den Kollegen und die Suche zusammen mit dem Regisseur, der schon so klare Vorstellungen hat, die hilft, sich einer Figur wie Blanche zu öffnen, sich ihr zu nähern und sich ihrer anzunehmen.

„Blanche ist so komplex, hat so viel erlebt, unschöne Dinge“, sagt Melanie Straub. Für einen kurzen Moment, so als würde sie ein Zwiegespräch mit Blanche führen, sich der Zustimmung ihrer Einschätzung vergewissern, geht ihr Blick nach Innen. Und für diesen kurzen Moment sitzt Melanie Straub in sich zusammengesunken in dieser schmalen Garderobe im Hans Otto Theater mit den vier Stühlen vor vier Spiegeln und dem wackligen Kleiderständer, wie wohl auch oft genug Blanche sitzen könnte in ihren zahlreichen Momenten der Resignation. Am morgigen Freitag ist Melanie Straub in der Rolle der Blanche in der Premiere von „Endstation Sehnsucht“ zu erleben.

Melanie Straub also, dieses zarte Kraftwesen, diese Zweifelzerspielerin, Verzweiflungszauberin. Wer die Schauspielerin Melanie Straub in der Rolle der Barbara Fordham in „Eine Familie“ am Hans Otto Theater erleben durfte, weiß, wovon hier die Rede ist. In Tracy Letts Familienabgrundsaga in der Regie von Barbara Bürk spielt Melanie Straub mit einer Kraft und Präsenz, die begeistert und erschüttert. Keinen Zweifel lässt sie an ihrer Darstellung von Barbara, deren Leben immer mehr zu einem grotesken Verzweiflungstanz verkommt. Und wie immer spielen menschliche Gemeinheiten und Abgründe die schaurigtraurigschlechte Hintergrundmusik.

Melanie Straub gehört zu den unter Schauspielern immer seltener werdenden Verzauberinnen. Tritt sie auf die Bühne, passiert etwas, verändert sich etwas. Anfangs unmerklich, dann immer stärker. Keine großen Gesten, kein Gepolter, keine kraftlose Kraftmeierei. Wenn Melanie Straub spielt, haben kleinste Gesten und ein angedeuteter Schritt, eine leichte Bewegung und die leichteste Veränderung in ihrem Gesicht so viel Gewicht, so widerspruchlose Bedeutung. Und wenn sie dann als Barbara immer verzweifelter, immer stolzer mit ihrer Mutter Violet ringt, ist da das Gefühl, dass es dabei nicht nur Barbara, sondern auch Melanie Straub selbst zerreißt. Wenn sie nun als Blanche DuBois in „Endstation Sehnsucht“ auf die Bühne des Hans Otto Theaters tritt, hat sie wie auch schon in „Eine Familie“ mit einem starken Gegenüber zu tun. Dieses Mal nicht mit der eigenen Mutter, sondern mit Stanley Kowalski.

Es ist das Gesetz des Dschungels, das Tennessee Williams in seinem meisterhaften Drama aus dem Jahr 1947 auf die Bühne bringt und das mit Vivien Leigh und Marlon Brando verfilmt wurde. Der Stärkere, das Animalische setzt sich hier durch und wird am Ende Blanche DuBois zerstört haben. Sie, dieses nervöse und lichtscheue Wesen, das sich an das Vergangene, die eigene Jugend, den verlorenen Familiensitz mit dem schönen und so trügerischen Namen „Belle Rêve“ (französisch „Schöner Traum“) und damit verbunden an ein aristokratisches Bewusstsein klammert, verschlägt es nach New Orleans zu ihrer jüngeren Schwester Stella, die mit dem Arbeiter Stanley Kowalski verheiratet ist. Ein Abgrund, in den Blanche abgleitet und gegen den sie sich zu erwehren versucht, in dem sie immer wieder ihre Werte, ihre aristokratische Etikette propagiert. Doch je länger man den Reden dieser Frau zuhört, umso deutlicher wird, wie brüchig diese Fassade ist. Das Raubtier Stanley hat das längst erkannt und umschleicht lässig, triebhaft und gefährlich sein Opfer.

„Er benimmt sich wie ein Tier, hat das Verhalten eines Tieres! Isst wie ein Tier, bewegt sich wie ein Tier, redet wie ein Tier! Er hat etwas – Unter-Menschliches –, etwas, das noch nicht ganz ins Stadium des Menschseins getreten ist! Etwas Affenartiges“, wie Blanche ihrer Schwester erklärt. Sie hat die Gefahr erkannt, ist aber zu schwach, sich ihr zu entziehen. Und wie in „Eine Familie“ spielen auch hier menschliche Gemeinheiten und Abgründe die schaurigtraurigschlechte Hintergrundmusik für das langsame Zerdrücken und Zerquetschen und Zerstören der Blanche DuBois.

„Ich bewege mich auf einem schmalen Grat“, sagt Melanie Straub. Und meint damit das Affektierte auf der einen und das Gebrochene auf der anderen Seite, das sich in Blanche so ballt. Das so zu spielen, dass es immer auch glaubwürdig bleibt, ist die große Herausforderung für sie. Da will man schon abwinken und Melanie Straub bitten, solche Zweifel gar nicht erst zuzulassen. Schließlich hat man sie in „Eine Familie“ auf der Bühne erlebt, wurde sie vor zwei Jahren mit dem renommierten Otto-Kasten-Preis für junge Theaterkünstler ausgezeichnet. Und bei „Endstation Sehnsucht“ wird ihr, wie schon bei „Eine Familie“, wo eine grandios-gnadenlose und fast schon übergroße Tina Engel ihre Mutter Violet spielte, mit René Schwittay auch ein großes Gegenüber zur Seite stehen.

Schwittay, dieser herrliche Haudegen, dieser Zerrissenheitskünstler, dieses Kraftpaket, den man von Rolle zu Rolle immer stärker ins Herz geschlossen hat. Dieser Schwittay wird das Raubtier, das Triebmonster Stanley Kowalski geben, dieses grausam-simple Menschentier. So spart man sich hier in dieser stickigen Garderobe auch den Hinweis, dass man sich auf dieses Gipfeltreffen zweier großer Schauspieler freut und lässt Melanie Straub von den Zweifeln sprechen. Zweifel, die sie, auf Umwegen erst, zum Theater gebracht haben.

In Waiblingen bei Stuttgart geboren, hat sich Melanie Straub nach dem Abitur zuerst zur Physiotherapeutin ausbilden lassen, um dann ein Jahr in der Psychiatrie zu arbeiten. „Meine Eltern wollten, dass ich einen ordentlichen Beruf lerne“, sagt Melanie Straub mit einem fast entschuldigenden Lachen auf die Frage, warum sie diesen Umweg gewählt hat. Und das „ordentlich“ klingt so vielsagend, so respektvoll gegenüber dem Wunsch der Eltern und gleichzeitig so fein ironisch, als wollte sie damit sagen: „Na, Sie wissen schon.“

Melanie Straub hat sich dem Wunsch ihrer Eltern gefügt, weil sie, wie sie sagt, sich nicht widersetzen konnte. Aber die Faszination Theater brannte schon früh in ihr. „An unserer Schule gab es eine Theatergruppe.“ Aber Melanie Straub stand da nie auf der Bühne. „Ich stand immer nur an der Tür und schaute bei den Proben zu. Glaubte, dass ich da vorn nichts zu suchen hatte.“ Aber die Faszination brannte schon zu stark. Und als Melanie Straub dieses eine Jahr in der Psychiatrie arbeitete, wollte sie es endlich wissen. In der Turnhalle der Klinik studierte sie in den Pausen verschiedene Rollen ein. „Zuerst nur Pantomime, weil ich meiner Stimme nicht traute.“ Und als sie dann bei einer dieser Pantomimen doch ein einziges Wort sprach, war ihr klar, dass es das ist, dass sie das kann: Theater.

Ihr erstes Vorsprechen überzeugte, 2000 begann sie ihr dreijähriges Studium an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin und war ab 2004 Ensemblemitglied bei Tobias Wellemeyer in Magdeburg. Mit dem Wechsel Wellemeyers an das Hans Otto Theater vor zwei Jahren kam sie auch nach Potsdam. „Aber wegen der Elternzeit spielte ich die erste Zeit nicht“, sagt Melanie Straub, die mit Wolfgang Vogler verheiratet ist, auch Schauspieler am Hans Otto Theater. Dann trat sie als Barbara in „Eine Familie“ auf die Bühne und etwas passierte, etwas veränderte sich. Und nun Blanche DuBois in „Endstation Sehnsucht“.

Ob sie diese Rollen, die sie auf der Bühne spielt, auch an sich heranlässt, sich persönlich packen lässt und selbst nachts aufwacht, weil sie an ihr zerren, ihr zusetzen, sie quälen, ist die letzte Frage, bevor sie wieder zu Probe muss.

„Ja, oh ja“, sagt Melanie Straub.

Premiere am morgigen Freitag, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 11 8

Dirk Becker

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