Kultur: Das Glück der Natur
Ob Beethoven auch glücklich sein konnte? Wer seine „Sinfonia Pastorale“ hört, muss das glauben
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„Alle neun Sinfonien an vier Tagen“ heißt es im Februar bei der Kammerakademie Potsdam. Ein Konzertmarathon mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven, wie ihn das Orchester noch nie bestritten hat. Die PNN stimmen in den kommenden Tagen mit regelmäßigen Beiträgen auf dieses Konzerterlebnis ein. Heute geht es um Beethovens 6. Sinfonie, die „Sinfonia Pastorale“.
Ist die Rede von Beethoven, dann ist da oft das Bild vom getriebenen und gebeutelten Menschen. Vom Genie unter der Selbstgeißel seines Anspruches und dem Leidenden, dem die zunehmende Schwerhörigkeit immer stärker zu schaffen machte. Ein Mann mit ernstem Denkergesicht, der scheinbar immer nur das Große und Ganze im Blick hatte und von entsprechender Ernsthaftigkeit durchdrungen war. Aber Beethoven als lachenden, als glücklichen Menschen? Je mehr man über ihn liest, sich mit seiner Biografie beschäftigt, umso schwieriger wird dieser Gedanke, diese Vorstellung. Aber Ludwig van Beethoven muss auch ein glücklicher Mensch gewesen sein. Und wenn es nur in diesen Momenten war, in denen er seine Ideen, seine Gedanken und Vorstellungen in seine Musik umsetzte. Wenn er komponierte. Beispielsweise den ersten Satz seiner 6. Sinfonie, der „Sinfonia Pastorale“.
Mit „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ hat Beethoven seine Sinfonie überschrieben, die ihm innigstes Bekenntnis zur Welt, vor allem für die Natur geworden ist. Zwischen den Sommern 1807 und 1808 hat Beethoven die fünf Sätze geschrieben, auf 140 Notenblätter, die heute im Bonner Beethovenhaus aufbewahrt werden. Damals hatte Beethoven Zeit in Baden und Heiligenstadt, Wien und Eisenstadt verbracht. Ob es nun Naturerlebnisse aus dieser Zeit waren oder doch die Quintessenz von gerade Erlebtem und Erinnertem, Beethoven schuf hier Tonmalerei über die Natur par excellence. Und das, obwohl er sich darüber bei anderen Komponisten immer wieder lustig gemacht haben soll. „Beethoven dachte sich bei seinen Compositionen oft einen bestimmten Gegenstand, obwohl er über musikalische Malereien häufig lachte und schalt, besonders über kleinliche der Art. Hierbei mußten die Schöpfung und die Jahreszeiten von Haydn manchmal herhalten“, berichtete sein Schüler Ferdinand Ries. Nun ist die Kritik an der Naturlautmalerei in der Musik so alt wie das Genre selbst. Und wenn Beethoven es in dieser Hinsicht auch an Respektlosigkeiten gegenüber seinem Lehrer Haydn nicht fehlen ließ, war dies für ihn noch lange kein Grund, diese Kunstform zu meiden. Aber Beethoven beschränkte sich nicht auf die allzu leicht wiederzuerkennenden Bilder wie das Imitieren von Vogelstimmen oder das Rauschen von Wasser. Ihm ging es um die innere Berührung, die Überwältigung und das Glücksgefühl, die in der Natur ausgelöst werden können.
Diese Berührung, diese Überwältigung und das Glücksgefühl stellen sich schon in den ersten, anfangs gemessenen, dann immer stärker aufblühenden Takten des ersten Satzes ein. Fast eine musikalische Umarmung, ein zärtliches Willkommen, wenn hier die Streicher mit den Holzbläsern aufs Herrlichste parlieren und sich dann in einem frühlingsrauschhaften Lobgesang verbinden. Und auch wenn Beethoven von jedem Satz bestimmte bildliche Vorstellungen hatte und schrieb „Erwachen heitere Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande – Andante molto mosso“, „Szenen am Bach“ oder „Gewitter, Sturm – Allegro“, sind hier keine klaren Bilder, sondern Anstöße für eigene Bilder und Vorstellungen.
„Die 6. Sinfonie ist für mich nicht so eine starke Programmmusik wie Till Eulenspiegel von Richard Strauss, wo ganz klar die Überschriften, die Thematik einem wie Bilder klar werden“, sagt Matthias Leupold, Geiger bei der Kammerakademie Potsdam. „Das ist bei Beethoven schon eher diese motivisch-thematische Arbeit, die er natürlich immer wieder in einen anderen Kontext gesetzt hat. Für ihn war das auch ein Experiment, wie extrem er vom Gestus der 5. hin zu dem Ländlichen der 6. gehen kann. Was ich besonders spannend finde: wie Beethoven hier die Harmonien einsetzt. Der größte Teil der 6. Sinfonie besteht ja nur aus Dur-Akkorden. Ich glaube, der erste Moll-Akkord kommt ins Spiel, wenn das Gewitter anrollt.“
Beethoven hat hier kein musikalisches Naturgemälde geschaffen, denn umsonst hat er nicht so gern über diesbezügliche Versuche seiner Kollegen gespottet. Seine „Sinfonia Pastorale“ ist eine Reflexion über den beobachtenden Menschen in der Natur, ein nach innen gekehrter Gegenentwurf zur 5., wo er den Menschen in der Gemeinschaft in den Mittelpunkt gestellt hatte. „Ich hab den Eindruck, dass die 6. für Beethoven selbst eine große Herausforderung war“, sagt Matthias Leupold. „Wie ich ihn einschätze oder mir vom Charakter her vorstelle, war er ja schon ein sehr emotionaler, sehr eruptiver Mensch. Und die 6. in diesem idyllischen Charakter hinzukriegen, das muss schon einiges von ihm abverlangt haben.“
Die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda spielt vom 13. bis 16. Februar alle neun Sinfonien von Beethoven im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Weitere Informationen und Karten unter www.kammerakademie-potsdam.de
Dirk Becker
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