Kultur: Das Große im Kleinen
Pierre Moioli alias Le p“tit Jézu im Nikolaisaal
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Es ist immer ein erhebliches Maß an Hilflosigkeit zu spüren, wenn zwei Menschen versuchen, sich zu unterhalten und dabei die Sprache des jeweils anderen nur begrenzt beherrschen. Oft genug schlägt diese Hilflosigkeit in Verzweiflung um. Doch Humor, so war am Freitagabend im Foyer des Nikolaisaals zu erleben, ist immer noch das beste Mittel, die scheinbar unüberbrückbaren Sprachdifferenzen zu überspielen.
In der Reihe „The Voice in concert“ war der Sänger und Gitarrist Pierre Moioli eingeladen worden. Moioli, der unter dem Künstlername Le p“tit Jézu auftritt, der „kleine Jesus“. Ein wenig Provokation mag in diesem Namen stecken, auf keinen Fall Blasphemie oder übersteigerte Selbstüberschätzung. Es ist der Ausdruck des augenzwinkernden Humors des kleinen, quirligen Franzosen Moioli. Seine Mutter heiße Maria, sein Vater Joseph, das ergebe dann Le p“tit Jézu, erklärte Moioli mit entwaffnender Selbstverständlichkeit.
Niemand im fast ausverkauften Foyer hätte diese Erklärung aus dem Munde des Sängers hören müssen, stand sie doch in dem kostenlos verteilten Programmheftchen. Doch gehört zur Tradition von „The Voice in Concert“, einer gemeinsamen Veranstaltung des Nikolaisaals und der gleichnamigen Sendung des rbb-Kulturradios, dass in der Pause ein Gespräch zwischen Künstlern und Radiomoderatoren stattfinden soll. Wer diese exquisite Konzertreihe regelmäßig besucht, weiß aus eigener Erfahrung, dass diese Gesprächrunden oftmals zu den Tiefpunkten der Abende gehören.
Moioli, der mit seiner Schiebermütze, dem Dreitagebart, dem aus der Hose hängenden Hemd, einer vom intensiven Spielgebrauch gealterten Akustikgitarre und seiner grenzenlosen Unbekümmertheit wie ein Straßensänger wirkt, ließ an diesem Abend gar nicht erst so etwas wie Distanz zwischen ihm und dem Publikum entstehen. Er kam auf die Bühne, begrüßte die Gäste mit strahlendem Gesicht und legte los. Moiolis Musik ist am ehesten mit dem weit umfassenden Begriff „Singer & Songwriter“ zu beschreiben. Ein treibendes Akkordspiel, das er regelmäßig durch Effektgeräte jagt, die wie eine Art Rekorder funktionieren. Moioli spielt seine Akkorde, die Effektgeräte wiederholen diese in einer Art Endlosschleife, damit er weitere Melodien darauf schichten kann.
In dieser Vielstimmigkeit ließ sich Moioli vom dezenten Spiel der Kontrabassistin Zelie Lamarque und Gael Le Billian an einem Rhodes Piano und einem kleinen Schlagzeug begleiten. Dieses Drei-Mann-Orchester beherrscht die Kunst des Großem im Kleinen perfekt. Während Moioli seine Lieder, mal französisch, mal italienisch, mal englisch sang, gaben Zelie Lamarque und Gael Le Billian dem Ganzen ein dezentes, aber äußerst solides Rhythmusfundament mit reichlichen Reggae-Anleihen. Ein fröhliches Toben durch unsere Gefühlswelt, bei dem auch nicht die ruhigen Momente fehlten.
In der Pause dann das erwartete Gespräch. Moderator Lothar Jänichen hatte seine Fragen auf Englisch vorbereitet. Doch Moioli wusste, dass Jänichen auch des Französischen mächtig ist, wenn auch nur bruchstückhaft. Und so bestand der „kleine Jesus“ auf seine Muttersprache. Jänichen ließ sich darauf ein. Und wenn es auch manches Mal Minuten dauerte, bis er seine Frage gestellt hatte, jedes wieder erinnerte Wort, wurde mit entsprechendem Applaus begrüßt. Dieses humorvolle Improvisieren wurde dann tatsächlich zu einem kleinen Höhepunkt an diesem Abend.
Dirk Becker
Dirk Becker
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