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Kultur: Das große Swingen

Abschlussball entführte in ungeahnte Zweisamkeit

Stand:

Noch vor dem großen Gewitter am Sonntagabend hatten sich viele Tanzwillige in schwingenden Röckchen und flachen oder hohen Schuhen auf den Holzbrettern des Spiegelzeltes eingefunden, um es mal so richtig „swingen“ zu lassen. Die fabrik kann immer wieder überraschen: Wer hätte gedacht, dass sie sich zum großen Unterhalter im Stil der zwanziger und dreißiger Jahre aufschwingen kann, wo es ihr meist um eine ganz andere Art des Körperausdrucks geht?

Zum Abschluss der 17. Potsdamer Tanztage aber verwandelte sich das Spiegelzelt, in dem es außer Spiegel auch eine rotsamtene Plüschdecke, viele Holztischchen, die im Kreis standen, als wollten auch sie gleich zum Tanz auffordern und eine Bar gab, in eine einzige vergnügungssüchtige Manege. Es schien, als habe sich der Heilige Geist von Pfingsten direkt in die Beine und Füße vieler Menschen begeben, die sich bereitwillig zu den Anweisungen der Swing-Tanzlehrerin bewegten, oder als habe sich die Magie des runden Zeltes auf die Anwesenden übertragen und dadurch eine Art anderen Aggregatzustand hervorgerufen. Das Spiegelzelt beschwingte sichtbar die festlich gestimmten Menschen.

Zu Beginn mutete das Scharren der Füße in der musiklosen Halle zwar noch einigermaßen kurios an, aber das waren ja nur die Testschritte vor dem Ernstfall, die die Frauen und Männer da bereitwillig zu den Anordnungen absolvierten. Tatsächlich war die avantgardistische fabrik wundersamer Weise zu einer traditionellen Tanzschule geworden, die zum noch bis vor kurzem schwer verlachten „Abschlussball“ gerufen hatte. Und ein Abschlussball ist eine ernste Sache, das wissen zumindest diejenigen, die mit pochendem Herzen und schwitzenden Händen vor ach so langer Zeit das erste Abendkleid anzogen, um herauszufinden, dass sie doch aufgefordert werden würden. Und das Tolle am Abschlussball war ja auch, dass das gesamte Leben noch viel versprechend und unentdeckt vor einem lag. Auf diesen Zauber, der jedem Anfang innewohnt, hatte es die fabrik wohl abgesehen. Und es sollte sich herausstellen, dass sie damit nicht falsch lag. Bald trat dann auch die angekündigte Swing-Band auf. Mit Clownskostüm und roter Pappnase wurde noch mehr Stimmung in die Runde gebracht, als habe jemand ein Glas Champagner auf den Tisch gestellt. Jerry Jenkins & his Band mussten aber nicht allzu viel Animationsarbeit leisten, denn die Bereitschaft der Anwesenden zum Tanz war groß.

Wie häufig fiel auch da auf, dass mehr Frauen ihr Tanzbein schwangen als Männer, aber das war ja mit dem Charleston von Josephine Baker auch nicht anders. Im Amerika der 30er Jahre tanzten viele Frauen alleine den aufreizenden Tanz, um sich über die Prohibition lustig zu machen. Doch gab es auch im Spiegelzelt gar nicht wenig mutige Männer, die Swing, Mambo, Twist und Rumba eine ganz neue, heutige Note verliehen. Unterschiedlich waren die Paare aufeinander eingestimmt, es gab jene, bei denen man genau sehen konnte, wie die leider selten gewordene öffentliche Form des Sich-Berührens, des Hüften- und Hinternschlenkerns, der symbolischen Vorwegnahme noch intimerer Bewegungen Freude und Verlangen hervorbrachten. Es gab aber auch andere Paare, die sich erst mühsam aufeinander einstimmen mussten, sich beim Foxtrott noch fanden, aber bei Rumba schon ins Wanken gerieten – und die dennoch durchhielten, um so gegen Mitternacht in eine ganz ungeahnte und fußtrittlose Zweisamkeit zu gelangen.

Was kümmerte es um diese Zeit noch, dass die sich selbst „schönste Frau der Welt“ nennende Bridge Markland gar so schön nun doch nicht war und zu Beginn eine ziemlich befehlsartige Stimme an den Tag legte, was kümmerte da noch der blaue Fleck auf dem rechten Fuß, es war ein Schweben und Geschwebtwerden, das auch das Gewitter vergessen ließ.

Lore Bardens

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