
© Felix Broede
Kultur: „Das ist nichts Besonderes“
Am Samstag spielt Igor Levit mit der Kammerakademie Potsdam. Ein Gespräch über das Selbstverständliche beim Klavierspielen, über Beethoven, Bach und warum er nicht Chopin spielt
Stand:
Herr Levit, was ist das für ein Gefühl, wenn Sie am Klavier sitzen und spielen?
Na, das ist ja mal eine Eröffnungsfrage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Ich kann und will das gar nicht präzisieren, denn das hat für mich sehr viel mit Selbstverständnis zu tun. Am Klavier zu sitzen und zu spielen ist für mich im schönsten Sinne des Wortes normal. Das ist nichts Besonderes. Das gehört so selbstverständlich für mich zum Leben, dass ich es gar nicht betiteln könnte.
Erinnern Sie sich noch an ihre erste Begegnung mit dem Klavier?
Nein. Das war mit drei Jahren, daran kann ich mich nicht mehr bewusst erinnern. Erst ab dem Alter von acht und neun Jahren kann ich eine ganze Menge rekonstruieren.
Aber Sie sollen schon im Alter von vier Jahren öffentlich Beethoven gespielt haben.
Ja, eine Ecossaise oder auch zwei.
Mit 14 Jahren haben Sie dann von der „Missa Solemnis“ einen Klavierauszug geschrieben. Woher kommt bei einem Kind und Jugendlichen eine solche Faszination für Ludwig van Beethoven?
Mit der „Missa Solemnis“ hatte ich im Alter von 14 Jahren ja dieses besondere Erlebnis, als ich John Eliot Gardner sie dirigieren sah. Das war für mich sozusagen ein Point of no Return. Danach habe ich diese Komposition einfach lieben gelernt. Und ich meine wirklich gelernt, denn ich habe das für mich rauf und runter gespielt, analysiert und mich mit Kleinigkeiten auseinandergesetzt. Die „Missa Solemnis“ wurde so zu einer essenziellen Notwendigkeit, mehr als nahezu jedes andere Werk. Was mich nun an Beethoven fasziniert? Das ist so viel, das ist eine never-ending Story. Die Auseinandersetzung mit Beethoven, das ist eine Auseinandersetzung fürs Leben. Natürlich trifft das für viele Komponisten zu. Aber bei Beethoven meiner Meinung nach mehr noch als bei jedem anderen.
Also war es für Sie eine zwingende Notwendigkeit, dass Sie auf Ihrem Debütalbum Beethoven spielen werden?
Ja, und das war schon sehr lange klar.
Auch, dass Sie ausgerechnet die letzten fünf Klaviersonaten als Debüt einspielen wollten?
Diese Entscheidung fiel vor acht oder sieben Jahren. Und dass ich die fünf letzten Sonaten eingespielt habe, ergab sich einfach aus meiner Konzerttätigkeit. Das war keine taktische Marketingentscheidung, sondern das Repertoire, mit dem ich mich zu dieser Zeit intensiv beschäftigt habe. Natürlich immer auch mit den frühen und mittleren Sonaten. Und sehr oft habe ich auch die Diabelli-Variationen gespielt. So oft, dass die Überlegungen dahin gingen, diese für mein Debüt auszuwählen.
Ist in den kommenden Jahren von Ihnen mit einer Gesamteinspielung der 32 Beethovensonaten zu rechnen?
Nein, aber ich werden sie auf der Bühne spielen und Ende kommenden Jahres damit beginnen. Für eine Einspielung sehe ich derzeit keine Notwendigkeit.
Nach Beethoven im vergangenen Jahr haben Sie in diesem Jahr ein zweites Album mit den sechs Partiten von Johann Sebastian Bach veröffentlicht. Auch das eine schon lang geplante Entscheidung?
Auf jeden Fall, nur bin ich damit weniger hausieren gegangen als mit Beethoven. Beethoven als mein Debüt, das habe ich regelrecht herausposaunt. Und wer mich kennt, mich bei Konzerten erlebt hat, für den wird es keine große Überraschung gewesen sein, dass ich mich für Beethoven als Auftakt entschieden hatte. Aber mit Bach habe ich mich genauso lange und intensiv auseinandergesetzt, nur habe ich ihn seltener auf der Bühne gespielt.
Warum nicht?
Das hatte persönliche Gründe in dem Sinne, dass ich das Gefühl hatte, dass es noch nicht so weit war. Das Studium, die Auseinandersetzung waren noch nicht abgeschlossen. Es gab noch nicht diese Notwendigkeit. Als es dann aber soweit war, dass mich meine Auseinandersetzung mit den Partiten an den Punkt gebracht hatte, dass ich zu meinen Interpretationen stehen konnte, fiel die Entscheidung für die Aufnahme.
Was empfinden Sie, wenn Sie Bach oder Beethoven spielen?
Das ist jeden Tag unterschiedlich und ganz abhängig von dem, was ich vorher erlebt habe, wie ich mich fühle. Anders kann ich das nicht beantworten.
Wie viel Spontaneität erlauben Sie sich dann, wenn Sie spielen?
Ich spiele auf der Basis des Notentextes, der ist mir heilig, und das bis ins kleinste Detail. Aber was das Innenleben angeht, damit verbunden auch selbstverständlich das emotionale und intellektuelle Weitertragen von Musik, da lässt sich schon von einer gewissen Spontaneität sprechen, weil das ja immer tagesaktuell ist, von der eigenen Gefühlslage bestimmt.
Bevor Sie ein Stück auf dem Klavier spielen, setzen Sie sich intensiv mit dem Notentext auseinander. Lesen Sie diesen im Grunde wie ein Buch?
Ja und dabei höre ich die Musik im Kopf. Wenn ich eine bestimmte Notenstruktur sehe, weiß ich, was die Hand dabei auf der Tastatur macht. Dadurch bildet sich ein Hören. Mit geht es dabei aber weniger darum, wie es sich anhört, was das für eine Melodie ist, sondern darum, was mir die Details sagen, was hier die Phrasierung ausmacht, was ein bestimmtes Tempo in dieser oder jener Form bedeutet? Was sagt mir der Komponist, in welche Richtung geht er? Dann beginnt ein Leseprozess, der enorm spannend ist.
Und mit Ihrem Spiel versuchen Sie die sprachliche Schönheit dieses Notentextes für die Zuhörer zu übersetzen?
Wobei das nicht immer Schönheit ist. Natürlich ist es meine Lesart, die ich präsentiere. Aber mir geht es auch darum, musikalisch oder verbal zu erklären, warum ich der Meinung bin, dass es genau so klingen muss.
Wenn Sie sich mit bestimmten Stücken so intensiv beschäftigen, sie immer wieder spielen, kann Sie diese Musik dann überhaupt noch überraschen?
Die ganze Zeit. Als ich die Sonaten von Beethoven drei Wochen nach meiner Aufnahme für mein Debütalbum wieder gespielt habe, gab es genug Momente, in denen ich mir gesagt habe: „Das hättest Du aber auch anders spielen können.“
Gibt es Komponisten, die Sie langweilen?
Das auch, vor allem aber gibt es Komponisten, die ich lieber höre, statt sie zu spielen. Zum Beispiel Chopin.
Warum ausgerechnet Chopin?
Nicht weil ich ihn nicht liebe, ganz im Gegenteil. Beim Spielen ist das nicht meine Sprache und auch nicht mein Timing. Und dann gibt es Pianisten, die mit einer solchen Erhabenheit spielen, dann sitze ich einfach da, höre zu und bin dankbar.
Das Gespräch führte Dirk Becker.
Igor Levit spielt mit der Kammerakademie am Samstag, dem 13. Dezember, um 19.30 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11, das Konzert Nr. 1 in c-Moll für Klavier, Trompete und Streichorchester op. 35 von Dmitri Schostakowitsch. Der Eintritt kostet zwischen 8 und 30 Euro.
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